12. Oktober 2002
Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung
Mexiko
Für: Angel Luis Lara, alias El Ruso ("Der Russe).
Von: Sup Marcos.
Russe, Bruder: als erstes eine Umarmung. Als zweites, ein Rat: Ich
glaube Du tätest gut daran Dein Pseudonym zu ändern, es geht ja
nicht an, dass Dich die Tschetschenen verwechseln, und dann, tja,
adiós Aguascalientes und adiós einer der besten Rocksänger der
Gegenwart.
Der Tag (12. Oktober) an dem ich beginne diese Zeilen zu schreiben,
ist nicht zufällig ausgewählt (nichts ist zufällig mit den Zapatisten). Es
ist auch keine absurde Brücke an diesem Tag, die versucht sich bis zu
dem Ort zu erstrecken an dem Du arbeitest um die Inauguration des
Aguascalientes in Madrid vorzubereiten.
Ich bin sicher, dass alles bestens laufen wird für Dich, und dass die
Abwesenheit des Idioten Aznar (der, wie der Name andeutet, nur noch
wie ein Esel wiehern müsste [Wortspiel Aznar – rebuznar]) und des
verstopften kleinen Königs Juan Carlos bis zum Erscheinen des
Magazins unbemerkt bleiben wird.
Aber sag jedem und allen, dass jene, die mit Dir bei diesem
heldenhaften Projekt mitmachen, dafür nicht in der Hölle büßen
werden. Ein Magazin (sicher deportiert) wird bald herauskommen,
dass Rebeldía heißt, und zweifellos eine "gesellschaftliche" Sektion
haben wird, in der ihr eine Anzeige aufgeben könnt, die die Hochzeit
der Prinzessin [Infanta] in der Kategorie "infantile Feier" aufführt.
Darüberhinaus wird das berühmte Magazin Rebeldía sicher konsistent
sein, und als erstes werden sie gegen die Rechschreibung rebellieren,
damit sie nicht zu viel in die Anzeigenseite investieren. Wenn es auch
Bilder hat wird es sicher teurer sein (außer sie sind pornographisch)
und der Preis, so sehr ich auch bedaure euch das mitzuteilen, ist nicht
in Euros sondern in D-Mark, da sie dort drüben eine starke Währung
bevorzugen.
Es wird kein Jammern geben, wenn der Adel nicht teilnimmt.
Andererseits denke ich, dass die Männer, Frauen, Kinder und Alten,
nicht nur der iberischen Halbinsel sondern von überallher, in Scharen
kommen werden. Wenn sie kommen, wird alles ein Erfolg sein. Aber
ich sollte Dich warnen, dass, wenn die Unteren erfolgreich sind als
nächstes immer die Polizei auftaucht. Denn die Unteren sollten nur
weinen und resigniert sein, so sieht es die Verordnung vor - ich weiß
nicht welche Nummer- die, ich weiß nicht wann, von der Krone
verordnet worden ist, aber zu dem Rhythmus der Schlagstöcke der
Zivilgarde werden sie alle mit deinem Aguascalientes zum
Gefängnis oder zum Friedhof marschieren, welches der Ort ist, der für
die iberischen Rebellen zur spanischen "Demokratie" wurde.
Ich weiß sehr gut, dass nicht nur Leute aus Spanien an dem Fest der
Rebellion teilnehmen werden, den dieses Aguascalientes symbolisiert,
aber doch die meisten.
Transatlantische Kajaks
Wir können nicht kommen, aber wir planen eine baldige Invasion
Europas, und wie Du es Dir vorstellen kannst, haben alle hier schon
fertiggepackt (natürlich könnte ihr Gepäck als zwei Stapel Tortillas, ein
Teller Bohnen, zwei Flaschen Pozol und Chili nach Geschmack
bezeichnet werden), aber keiner hat Rettungsringe vorrätig.
Die vorsichtigen nehmen Tabletten gegen die Seekrankheit mit und
fragen naiv, ob es "Toilettenpausen" geben wird.
Aber das ist nicht das schlimmste. Wie es sich herausstellte, kann ich
sie nicht davon überzeugen, dass wir mit Kajaks (Kanus, die aus
einem Baumstamm hergestellt werden) nicht allzu weit kommen
werden.
Man sollte sicher nicht allzu sehr auf die Einzelheit eingehen, dass
Chiapas kein Zugang zum Atlantischen Ozean hat, und dass wir
natürlich die Panama Kanal Gebühr nicht zahlen können; wir werden
uns dem Pazifik zuwenden müssen, die Philippinen, Indien und Afrika
streifen und auf den Kanarischen Inseln landen.
Es wäre nämlich nicht so gut zu Land zu reisen. Wir müssten dann die
Mongolei überqueren, die Ruinen der UdSSR – wo wir acht geben
müssten zu sagen, dass wir den "Russen" sehen wollen, in der
Hoffnung, dass sie uns korrigieren werden – Westeuropa, durch
Frankreich passieren um uns mit "Chateau Neuf Du Pape, Jahrgang
69" zu versorgen (ich mache schon Witze über Weine), dann auf
Italien zuhalten und uns mit Pasta voll schlagen, und dann die
Pyrenäen überqueren. Es ist nicht der lange Fußmarsch der uns
erschöpft, aber bei der ganzen Plackerei werden die Uniformen
dreckig.
In der Zwischenzeit ist der Enthusiasmus bei der zukünftigen Crew so
groß wie die Seekrankheit (ich sah übrigens einen Compañero
"würgen" und fragte ihn, warum ihm schlecht sei, wo wir doch noch
gar nicht an Bord gegangen wären. "Ich trainiere", sagte er mir mit
dieser unbeirrbaren Logik die aus den Bergen des mexikanischen
Südostens kommt.)
Wo war ich gerade? Oh ja – dass wir an der Inauguration des
Aguascalientes nicht persönlich teilnehmen können, weil wir gerade –
wie der Compañero das sagte – für die Expedition trainieren.
Es ist wichtig, dass Du niemandem sagst, dass wir vorhaben auf der
iberischen Halbinsel einzufallen (erster Halt ist bei Lanzarote, wo wir
mit Saramago und Pilar ein Kaffee trinken werden), denn Du weißt ja
wie die Monarchie ist. Sie wird immer nervös, und dann geht sie in den
Urlaub mit den Infanten und den Hofnarren (oder könnte es sein, dass
ich Felipillo González und Pepillo Aznar meine, die wie ich schon
sagte, mit ihren Namen büßen müssen)
Außerdem kann es kostspielig sein von der Monarchie schlecht zu
reden; man kann zumindest aus der Gegend ausgewiesen werden.
Deshalb hatten sie die Idee, den Aguascalientes zu einem "besetzten
Gebiet" zu machen, weil die Hauptquartiere anständigen Menschen
gehören sollten; keiner zweifelt, dass es in jedem besetzten Haus
mehr Edles gibt als in El Escorial.
Verdammt, jetzt habe ich mich schon wieder selbst unter dem Adel
gemischt, aber das sollte ich nicht tun, denn wenn man in einen
Mülleimer steigt, riecht man am Ende wie Scheiße, und dieser Duft
geht nicht mehr ab, auch nicht mit Flaschen gefälschtem Parfüms, den
sie in dem Corte Inglés verkaufen.
Fein, sagt ja zur Piraterie, aber nicht zur Dispersion, also nehme ich
den Faden dieses Monologs wieder auf, das den großen Vorteil hat,
dass man weder sprechen noch Piep sagen kann, genau wie wenn
man vor der Benemérita Zivilgarde steht, die, wenn ich das sagen
darf, weder zivil noch eine Garde ist, aber es ist bereits bekannt, dass
die Welt der Macht voller Inkohärenzen ist
Was? Bin ich abgestreift? Du hast recht, Mist, es liegt nur daran, dass
mich die Aussicht, die aufgewärmte Hühnerbrühe zu verpassen, die
sie austeilen werden, weil sie für etwas anderes kein Geld mehr
haben, sagen wir mal, unruhig macht.
Conquistadoren und Neoliberalisten
Ich sagte, dass das Datum dieses Briefes nicht zufällig sei, dass wenn
dieses Schreiben am 12. Oktober beginnt um den Aguascalientes
Projekt zu begrüßen, dies etwas bedeuten soll.
In einigen Sektoren haben die Menschen die falsche Vorstellung, dass
die Schuld für die Situation der Indigenen Völker Mexikos bei der
Spanischen Eroberung liegt. Und es ist auch nicht so, als ob Hernán
Cortés und andere Schurken, die ihn in Rüstung und Priesterrock
begleiteten besonders gütig gewesen sind, aber verglichen mit den
neoliberalen Gouverneuren von heute, waren sie mildtätige Brüder.
Von den Männern und Frauen des würdigen Spaniens haben wir nur
brüderliche Worte, erhalten, bedingungslose Solidarität, aufmerksame
Ohren, helfende Hände die grüßen und umarmen.
Also Entschuldigung, Pater Hidalgo, aber wir Zapatisten rufen "Weg
mit den Neoliberalisten! Hoch die Spanier!"
Ich stelle mir vor, dass es dort eine Gruppe aus Katalonien sein muss,
die einen heißen Ranchero spielt, aber dabei gibt es niemanden um
den Rhythmus zu tragen. Und es sollten auch Leute aus Galizien
kommen, aus Asturien, aus Cantabria, aus Andalusien, aus Murcia,
aus Extremadura, aus Valencia, aus Aragón, aus La Rioja, aus
Castilla-León, aus Castilla-La Mancha, aus Navarra, von den
Balearen, von den Kanarischen Inseln und aus Madrid. Gib
ihnen allen eine herzliche Umarmung von uns, von uns allen. Denn mit
so vielen Brüder und Schwestern, und alle so groß, sind unsere Arme
durch die Kraft unserer Zuneigung für euch gewachsen.
Was? Ich habe das Baskenland vergessen? Nein, ich möchte Dich
nicht bitten mir zu erlauben diese Brüder und Schwestern besonders
zu erwähnen.
Nun, ich weiß, dass dieser groteske Clown, der selbsternannte Richter
Garzón aus der Hand der spanischen politischen Klasse (die genauso
lächerlich ist wie das Gericht, aber ohne diesen diskreten Charme von
– Wie geht es Ihnen Herzogin – Nun, Baron, ich vermisse Phillips
Hofnarr kein bisschen, den Pepillo ist genauso lustig, wie er. Übrigens,
Sie sollten Ihren Hosenschlitz hochziehen, Baron, sonst fangen Sie
sich noch eine Erkältung ein, was das einzige ist, was man sich bei
Gericht einfangen kann, usw. – was echter Staatsterrorismus ist, den
kein ehrlicher Mann oder Frau sehen kann ohne sich zu empören.
Ja, der Clown Garzón hat den politischen Kampf des Baskenlandes
für illegal erklärt. Nachdem er Pinochet mit diesem lächerlichen
Märchen erwischt hat (alles was er tat war sich bezahlten Urlaub zu
nehmen), demonstriert er seine wahre faschistische Berufung, indem
er dem baskischen Volk das Recht verweigert, politisch für eine
legitime Sache zu kämpfen.
Und ich werde nicht mehr sagen, weil... na ja. Aber wir haben hier
drüben viele baskische Brüder und Schwestern gesehen. Sie waren in
unsere Friedenscamps. Sie kamen nicht um uns zu sagen was wir tun
sollen, und sie brachten uns auch nicht bei, Bomben herzustellen oder
Angriffe zu planen.
Denn die einzigen Bomben hier sind Chiapaneken, die anders als die
Yucataner, sich niemals reimen.
Denn hier kommt Olivio und sagt mir, wenn ich ihm etwas von der
Nussschokolade abtrete, die sie mir gegeben haben, weil, wie es
heißt, ich seeeehr krank bin, wird er mir eine Bombe vortragen.
"Fein," sage ich ihm, da ich sehe, dass die Schokolade bereits
durchgeweicht ist. Und Olivio erhebt die Stimme und rezitiert: "Bombe,
Bombe, in dem Patio vor meinem Haus steht ein Orangenbaum, wie
hübsch ist Deine Schwester."
Der Teil über meine Schwester stört mich nicht allzu sehr, nur der
fehlende Reim, und ich gebe Olivio die Schokolade trotzdem... aber
am Kopf, weil ich sie nach ihm werfe, während ich ihn bis zur
Erschöpfung jage, also bis zu den ersten paar Schritten.
Schlimmer noch, die einzigen Angriffe gegen den guten
Musikgeschmack hier geschehen, wenn ich eine Gitarre in der Hand
kriege, und mit meinem unvergleichlichen Bariton etwas anstimme,
dass ungefähr so geht "man sagt, jedes Mal wenn ich mich betrinke
passiert mir etwas, ich gehe los um Dich zu sehen und lande in der
falschen Hängematte".
Ich bin sicher, wenn Manu Chao mich hört wird er mich anheuern. Das
heißt, vorausgesetzt ich muss nicht für die zwei Seiten zahlen die ich
zerrissen habe, als ich zusammen mit den Insurgenten, das Lied über
die 'Schizophrene Kuh' gesungen habe. Oder war es 'Verrückte Kuh'?
Egal, wenn Du ihn siehst, drück Manu die Hand und sag ihm nur, dass
wir ihm das mit den Seiten verzeihen, wenn wir uns in der nächsten
Station treffen, die wie man weiß "Hoffnung" heißt.
Und wenn Manu mich nicht anheuert, gehe ich zu der Gruppe aus
Amparo. Obwohl sie vielleicht ihr Name ändern werden müssen, und
anstatt von "Amparonoia" würde ich sie "Amparophobia" nennen,
denn meine Kritiker globalisieren sich auch.
Was den Terroristen letzten Endes am meisten abgeht ist Stimme,
nicht Mittel.
Aber, wie es sich so trifft, sind Brüder und Schwestern aus dem
Baskenland hier gewesen, und sie haben sich mit Würde betragen,
wie die Basken selbst.
Und ich weiß nicht ob Fermin Muguruza gerade bei Dir in der Nähe ist,
aber ich erinnere mich, dass sie ihn einmal als er hier war, fragten von
wo er herkäme, und er sagte "Aus dem Baskenland", und sie fragten
wieder: "Aus dem Baskenland in Spanien oder dem Baskenland in
Frankreich?" Und Fermin antwortete ohne mit der Wimper zu zucken
"Aus dem Baskenland im Baskenland".
Ich habe versucht etwas auf Baskisch zu finden, mit dem ich die
Brüder und Schwestern aus diesem Land begrüßen könnte, und ich
habe nicht viel gefunden, aber ich weiß nicht ob mein Wörterbuch
etwas taugt, denn ich habe nachgeschlagen wie man auf Baskisch
"Würde" sagt, und das zapatistische Wörterbuch sagte "Euskal
Herria". Frag sie mal ob das stimmt, oder besser noch, ich komme
später selbst darauf zurück.
Was letztendlich weder Garzón noch seine Kumpane wissen ist, dass
es Zeiten gibt, wenn die Würde zu einem Igel wird, mit einem Autsch!
für jeden, der versucht sie zu zerschlagen.
Die Fiesta der Rebellion
Nun, ich habe schon bereits gesagt, dass das Aguascalientes ein Fest
der Rebellion sein sollte, etwas, dass keine der politischen Parteien
mag...
"Die sind Schwindel!" unterbricht mich Durito.
"Aber... warte mal Durito, ich rede doch noch nicht mal von
mexikanischen Parteien."
"Ich spreche nicht von diesem Schwindel, sondern von den
Pornoseiten im Internet."
"Aber Durito, wir haben doch kein Internet im Urwald."
"Haben wir nicht? Das klinkt nach der Europäischen Union. Also ich
schon. Mit ein wenig Geschick und einer anderen Kleinigkeit, habe ich
einen meiner Fühler in ein starkes Satelliten-Modem verwandelt."
"Und wieso sind die Pornoseiten im Internet Schwindel, Du
wandelnder postmoderner Caballero?"
"Nun, weil sich darunter keine einzige Käferdame befindet, nicht
einmal nackt, verdammt, nicht einmal mit so einem "Hauch" von
Schlüpfer, wie man so schön sagt.
"Schlüpfer?"
"Sicher! Mist! Schreibst Du gerade diesen Spaniern?" fragt Durito
während er eine Baskenmütze untersucht.
"Schlüpfer?" wiederhole ich, und versuche das Unvermeidliche zu
vermeiden, nämlich dass Durito sich in das was ich schreibe
einmischt, dafür hat er zu viele Hände, und zu viel Impertinenz.
"Lass mal sehen, hmm hmm..." murmelt Durito, der sich bereits über
meine Schulter lehnt.
"Russe? Schreibst Du an Putin? Das würde ich nicht empfehlen, nicht
das er Dir was von diesem Gas schickt, nicht mal von der Sorte die
kommt wenn Du zu viele Bohnen isst."
Ich protestiere:
"Sieh mal Durito, fangen wir nicht damit an intime Dinge zu enthüllen,
denn ich habe hier ein Brief, den Dir das Pentagon geschickt hat, um
Dich nach der Formel für die Entwicklung ultratoxischer Gase zu
fragen."
"Ah! Aber ich habe es abgelehnt. Denn mein Gas, wie meine Liebe, ist
weder zu kaufen noch zu verkaufen, aber ich verschenke es, denn ich
bin unvoreingenommen, und ich gebe Sachen her ohne nachzusehen
ob die Leute es verdienen," sagt Durito mit einem andalusischen
Akzent der wehtun muss.
Nach einer Pause fügt er hinzu:
"Und worüber schreibst Du, mein Junge?"
"Über nichts besonderes, Onkel, über das was sein wird, über
Rebellion und ein Aguascalientes, dass sie nahe Madrid eröffnen
werden," antworte ich, angesteckt von dem Flamenco, der sich im
Land ausbreitet.
"Madrid? Welches Madrid? Das Madrid von Aznar und der
Benemérita? Oder das unehrerbietige Madrid?
"Das unehrerbietige Madrid natürlich. Obwohl es nicht verwunderlich
wäre, wenn Aznar seine Hufen darin schlagen möchte."
"Großartig!" applaudiert Durito und tanzt etwas, das Federico Garcia
Lorca von den Toten erwecken könnte, und aus der wenig bekannten
und ungekürzten Soleá des Epileptischen Käfers besteht.
Nachdem er den Tanz beendet hat befiehlt Durito:
"Schreib! Ich werde Dir meine Ansprache diktieren."
"Aber Durito, Du bist nicht im Programm. Nicht mal wenn sie Dich
eingeladen haben.
"Sicher, deshalb mögen mich die Russen nicht. Aber das spielt keine
Rolle. Los, schreib. Der Titel ist "Rebellion und Stühle"
"Stühle? Durito, komm bitte nicht mit noch einer von Deinen..."
"Halt die Klappe! Die Idee stammt von etwas, das Saramago und ich
gegen Ende des letzten Jahrhunderts geschrieben haben, und
"Stühle" heißt."
"Saramago? Meinst Du José Saramago, den Schriftsteller?" frage ich
sprachlos.
"Natürlich. Was, gibt es einen anderen? Nun, an einem Tag an dem
wir uns so betrunken hatten, dass wir dabei waren, aus dem besagten
Stuhl zu Boden zu plumpsen, mit der Einsicht und dem Durchblick der
unten Liegenden, sagte ich: Pepe, dieser kleine Wein hier, trifft einen
härter als Aznars Maulesel – und er sagte gar nichts, weil er nach
seiner Brille suchte.
Und dann sagte ich zu ihm: 'Etwas passiert mit mir, schnell José, die
Ideen sind wie Bohnen mit Würstchen, wenn Du aufhörst Dir Sorgen
zu machen kommt noch eine, und wir können frühstücken.
Saramago fand endlich seine Brille und zusammen entwarfen wir die
Geschichte. Das war, wenn ich mich recht erinnere, in den frühen
80ern. Natürlich taucht bei den Autoren nur sein Name auf, denn wir
Käfer haben mit den Urheberrechten viel zu kämpfen."
Ich möchte Duritos Anekdoten abkürzen, also dränge ich: "Der Titel ist
bereits da, was noch?"
"Nun, es geht darum, wie die Haltung die ein Mensch gegenüber
Stühlen einnimmt, diese politisch definiert. Der Revolutionär
(großgeschrieben) sieht gewöhnliche Stühle unvoreingenommen, und
sagt und sagt: 'Ich habe keine Zeit mich hinzusetzen, die gewichtige
Mission, die mir die Geschichte (großgeschrieben) anvertraut hat,
hindert mich daran mich von Albernheiten ablenken zu lassen.' So
verbringt er sein ganzes Leben, bis er vor dem Sitz der Macht
ankommt, und diesen mit einem Schuss niederwirft um sich selbst
dahinzusetzen, und dann sitzt er mit einer gerunzelten
Stirn, als ob er an Verstopfung leidet und sagt: 'Die Geschichte
(großgeschrieben) hat sich erfüllt. Alles, absolut alles wird nun klar.
Ich Sitze in Dem Stuhl (großgeschrieben) und ich bin die höchste
Erfüllung unserer Zeit.' Von hier an macht er weiter, bis ein anderer
Revolutionär (großgeschrieben) kommt, ihn niederwirft und die
Geschichte (kleingeschrieben) wiederholt sich.
Der Rebell (kleingeschrieben) andererseits, der sich einen
gewöhnlichen und durchschnittlichen Stuhl ansieht, analysiert diesen
aufmerksam, und dann geht er los und rückt einen anderen Stuhl
heran, und noch einen, und noch einen, und in kürzester Zeit sieht es
aus wie in einem Buchklub, denn mehr Rebellen (kleingeschrieben)
sind angekommen und fangen an mit Kaffee, Tabak und Worten
herumzuschwärmen, und genau in dem Augenblick in dem sie
anfangen sich wohlzufühlen, werden sie unruhig, als ob sie Würmer
im Blumenkohl hätten, und niemand weiß ob das am Kaffee liegt, oder
am Tabak, oder an den Worten, aber sie stehen alle auf und gehen
weiter. Bis sie einem anderen gewöhnlichen und durchschnittlichen
Stuhl begegnen, und die Geschichte wiederholt sich.
Es gibt nur eine einzige Variation, wenn der Rebell dem Sitz der Macht
(großgeschrieben) begegnet, betrachtet er ihn aufmerksam, analysiert
ihn, aber anstatt sich hinzusetzen holt er eine Nagelfeile, und fängt an
mit heldenhafter Geduld die Beine anzufeilen, bis sie so brüchig sind,
dass sie zusammenbrechen, sobald sich jemand hinsetzt, was fast
sofort der Fall ist. Ende."
"Ende? Aber Durito..."
"Nichts, nichts. Ich weiß schon, dass das zu trocken ist, und Theorie
sollte anschmiegsamer sein, aber ich betreibe Metatheorie. Vielleicht
beschuldigen sie mich, ein Anarchist zu sein, aber betrachte meine
Ansprache als eine bescheidene Hommage an die alten spanischen
Anarchisten, weil es Menschen gibt, die leise Helden sind, und
deswegen nicht weniger hell leuchten."
Durito geht, obwohl ich sicher bin, dass er lieber zurückkommen
würde.
Nun, Scherz beiseite. Wo war ich bevor die gepanzerte Impertinenz
mich unterbrochen hat?
Ah! Wie das Aguascalientes ein Fest der Rebellion ist.
Und nun, mein lieber Tschetschene, müssen wir nur noch definieren
was Rebellion ist.
Es könnte schon reichen, sich all die Männer und Frauen anzusehen,
die es auf sich nehmen dieses Aguascalientes zu errichten, und alle
die seine Inauguration besuchen werden (nicht bei der
Abschlusszeremonie, weil das sicher die Polizei übernehmen wird),
um eine Definition zu erhalten, aber da dies ein Brief ist, sollte ich
versuchen das mit Worten zu tun, die, wie eloquent auch immer,
niemals so kraftvoll sein werden wie Sehen.
Bei der Suche nach einem Text der mir dabei helfen könnte, fand ich
dieses Buch, dass mir Javier Elorriaga geliehen hat.
Das kleine Buch heißt "Neu-Äthiopien", und wurde von deinem
baskischen Dichter namens Bernardo Atxaga geschrieben. Darin gibt
es ein Gedicht mit dem Titel "Reggae der Schmetterlinge", das von
Schmetterlingen handelt, die auf das Meer hinausfliegen und keinen
Ort zum Landen haben werden, da das Meer weder Inseln noch
Felsen hat.
Nun, ich hoffe Don Bernardo verzeiht mir, wenn diese Synthese nicht
so geglückt ist wie sein Reggae, aber es hilft mir bei dem, was ich Dir
sagen möchte.
Rebellion ist wie dieser Schmetterling, der auf das Meer ohne Insel
oder Felsen zuhält.
Sie weiß, dass sie keinen Platz zum Landen hat, aber dennoch zögert
sie nicht zu fliegen.
Und nein, weder der Schmetterling noch die Rebellion sind dumm
oder selbstmörderisch, es ist nur so, dass sie wissen, dass sie doch
etwas haben wo sie landen können, weil es in dieser Richtung eine
kleine Insel gibt, die kein Satellit entdeckt hat.
Und diese Insel ist eine Schwesterrebellion, die sicher hinausfahren
wird, sobald der Schmetterling, das heißt, die fliegende Rebellion,
anfängt schwächer zu werden.
Dann wird die fliegende Rebellion, das heißt der Seeschmetterling,
Teil dieser auftauchenden kleinen Insel, und wird somit zu einem
Hilfspunkt für andere Schmetterlinge, die bereits ihren entschlossenen
Flug über das Meer begonnen haben.
Das ganze könnte nur eine weitere Kuriosität in einem Biologiebuch
sein, aber wie bereits jemand sagte, der Flügelschlag eines
Schmetterlings ist der Beginn eines großen Hurrikans.
Mit ihrem Flug sagt die fliegende Rebellion, das heisst, der
Schmetterling, NEIN!
With its flight, the flying revolt, that is to say, the butterfly, is
saying NO! No a la lógica. Not to the logic. No a la prudencia. Not to
the prudence. No a la inmovilidad. Not to the immobility. No al
conformismo. Not to the conformism.
Nein zur Logik!
Nein zur Vorsicht!
Nein zur Starrheit!
Nein zur Konformität!
Und nichts, rein gar nichts wird so wundervoll sein, wie die Reise
dieses Fluges zu sehen, die Herausforderung einzuschätzen die er
darstellt, zu fühlen wie er beginnt, den Wind zu bewegen und zu
sehen, wie diese Lüfte nicht die Blätter der Bäume zum zittern
bringen, sondern die Knie der Mächtigen, die bis dahin naiv dachten,
die Schmetterlinge seien auf dem Meer gestorben.
Und, mein geschätzter Moskauer, es ist bekannt, dass Schmetterlinge,
wie die Rebellion, ansteckend sind.
Und Schmetterlinge wie Rebellen gibt es in allen Farben.
Die Blauen tragen diese Farbe, um mit dem Himmel und dem See zu
wetteifern.
Die Gelben um von der Sonne umarmt zu werden.
Die Roten, tragen die Farbe für das rebellische Blut.
Die Braunen tragen in Wellen die Farbe ihres Landes.
Die Grünen, tragen wie immer die Farbe der Hoffnung.
Und alle sind Haut, Haut, die schimmert, egal welche Farbe sie trägt.
Und es gibt Flüge in allen Farben.
Und manchmal kommen die Schmetterlinge aller Farben und von
überall her zusammen, und dann gibt es ein Regenbogen.
Und die Arbeit der Schmetterlinge, wie jedes Lexikon das etwas von
sich hält weiß, besteht darin den Regenbogen herabzubringen, damit
die Kinder lernen können zu fliegen.
Und da wir gerade von Schmetterlingen und Rebellionen sprechen, ist
mir eingefallen, dass, wenn ihr alle im Zirkus oder im Gericht vor dem
Clown Garzon sitzen, und gefragt werdet, was ihr denn in dem
Aguascalientes getan habt, ihr antworten könnt: fliegen.
Wenn sie Dich natürlich fliegend nach Tschetschenien deportieren,
wird man das Lachen bis in die Berge des mexikanischen Südosten
hören.
Und ein Lachen, Bruder, genießt man wie Musik.
Und da wir gerade von Musik sprechen, Ich kenne den Krebstanz, den
die Regierungen von Mexiko, Spanien, Italien und Frankreich
gewohnheitsmäßig aufführen, und der daraus besteht, Hüften und
Arme auf grobe Weise wie rückwärtslaufende Uhrzeiger zu bewegen
Und da wir die Zeiger einer Uhr sind, wenn Du Manuel Vázquez
Montalbán siehst, gib ihm bitte einen Händedruck von uns.
Sag ihm ich hätte bereits gehört, dass der Fox ihn gefragt hat, ob er
wüsste weshalb Marcos und die Zapatisten schweigen, und er ihm
geantwortet hat: "Sie schweigen nicht, es ist nur so, dass Sie selbst
nicht zuhören".
Übrigens, sag ihm, dass Bratwürste nicht wie Diamanten sind, das
heißt, sie sind nicht für die Ewigkeit, und die, die er geschickt hat,
haben wir bereits vor einiger Zeit aufgegessen, und wenn er nicht,
sagen wir, weitere 5 Kilo rüberwachsen lässt, werden wir ihn und Pepe
Carvahlo als Geisel nehmen.
Nein, lieber nicht. Sonst halten sie uns für Terroristen, und Bush wird
uns durch die UNO einen weiteren "humanitären" Krieg
entgegenblasen. Er soll lieber die Bratwürste schicken, und dafür
schicke ich ihm das Rezept für ein Marcos Spezial, um das mich
schon der Koch seiner Majestät mit vergeblicher Insistenz gebeten
hat.
Gut, ich verabschiede mich nun. Lass mich bitte wissen in welches
Gefängnis sie euch stecken, damit wir vorbeischauen, wenn wir dort
durchkommen.
Nein, ich glaube nicht um euch befreien – sondern um uns zu
versichern dass ihr auch sicher eingesperrt sein, weil ihr nämlich alle
verrückt seid. Ein Aguascalientes in Madrid zu inaugurieren... fehlt
bloß nur noch, dass sie im Gefängnis eine autonome Gemeinde
schaffen.
Wie auch immer, wir werden euch keine Zigarren schicken können.
Aber wir können natürlich Tortillas und Pozol schicken – so würdig wie
ihr selbst.
Vale, Salud, und wenn es ums Regieren geht, dann möge die
Rebellion regieren.
Aus den Bergen des mexikanischen Südostens.
Subcomandante Insurgente Marcos.
Mexiko, Oktober 2002
P.S. Eva fragte, ob es in dem spanischen Staat (so drückte sie es aus,
denke ich), Videos gibt, weil sie ihre Sammlung von Pedro Infante
Filmen mitbringen möchte. Ich sagte ihr, dass sie dort ein anderes
System haben. Sie sagte, "Du machst Witze! Sie haben dort keine
neoliberale Regierung?" Ich antwortete nicht, aber ich sage es ihr jetzt,
"Comandanta Eva, was könnte es denn sonst sein?"
Ein weiteres P.S.
- Glaub nicht ich wüsste nicht, dass auch Rebellen aus Italien,
Frankreich, Griechenland, der Schweiz, Deutschland, Dänemark,
Schweden, England, Irland, Portugal, Belgien, Holland und so weiter
zum Aguascalientes kommen werden. Grüße sie alle und sage ihnen,
wenn sie sich schlecht aufführen... machen wir eine Invasion. Wir
werden die verschimmelten Tortillas und den ranzigen Pozol
globalisieren. Dann werden wir ja sehen, wie die Zahl der
Globalophoben hinaufschießt.
Noch einmal Vale!
Der Sup, der gerade für die Seereise trainiert, das heißt, an der
Schokolade mit den verschimmelten Nüssen "würgt", die Olivio auf
den Boden liegengelassen hat.
* * *
übs. von Dana
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