- Protestkundgebung Fr. 22.9.2006 14 h Konsulat Mexiko Frankfurt/M. -

(Dokumentation des Manifestes)

[documentación en castellano / indymedia chiapas]

SCHLUSS mit der Repression in Mexiko!
Für Menschenrechte und Demokratie!


SCHOCKIEREND sind derzeit die politischen Verhältnisse in Mexiko. Die gesellschaftliche Situation ist extrem angespannt und droht weiter zu eskalieren. Auf die zunehmenden legitimen Proteste der benachteiligten Bevölkerungsgruppen reagieren Staat und lokale Machthaber mit massiver Gewalt. Der Druck auf die große Mehrheit der Menschen hält an, denn der zukünftige Präsident Felipe Calderón kam nach Einschätzung der meisten MexikanerInnen durch einen Wahlbetrug an die Macht und steht für eine extrem konservative und ausgrenzende Politik zugunsten der Eliten.

ATENCO - Attacke auf eine bäuerliche Kleinstadt bei Mexiko-City

Die Kleinstadt Atenco wurde am 4. Mai 2006 von 3.500 schwer bewaffneten Polizisten angegriffen. Das "Vergehen": engagierte BürgerInnen hatten tags zuvor in entschlossener Weise BlumenhändlerInnen der Nachbarstadt beigestanden, die ihre Ware auf dem lokalen Markt verkaufen wollten und sich damit gegen die Pläne der Regierung wehrten, an dieser Stelle einen Supermarkt zu errichten. Die AktivistInnen aus Atenco, die in der "Gemeindefront zur Verteidigung der Erde" (FPDT) organisiert sind, blockierten eine Hauptstraße, woraufhin die Polizei die gesamte Ortschaft äußerst brutal angriff. Bei dem auch international kritisierten Vorgehen der Staatsgewalt starben zwei Menschen. Über 200 Personen wurden inhaftiert und gefoltert. Frauen wurden systematisch misshandelt und vergewaltigt. SpezialistInnen sprechen von psychologischer Kriegsführung seitens der Regierung. Bis heute sind 29 Menschen inhaftiert. Die verantwortlichen "Sicherheitskräfte" wurden noch immer nicht zur Verantwortung gezogen. Unabhängige Menschenrechtsorganisationen vertreten die Einschätzung, dass die Gemeinde gezielt attackiert wurde, denn sie sei der Obrigkeit zu rebellisch, da sie sich 2002 erfolgreich gegen den Bau eines neuen Großflughafens für Mexiko-Stadt gewehrt habe und mit den Zapatistas sympathisiere. Verantwortlich für die schweren Menschenrechtsverletzungen sind Gouverneur Enrique Peņa Nieto (PRI) und sein berüchtigter Helfershelfer Wilfredo Robledo von der Staatlichen Sicherheitsagentur ASE, ein Freund des noch amtierenden und mitverantwortlichen Präsidenten Vicente Fox (PAN).





CHIAPAS - Vertreibung einer rebellischen indigenen Gemeinde

Im südlichsten Bundesstaat Chiapas, der zugleich einer der ärmsten ist, wurde Anfang August eine indigene Gemeinde gewaltsam von der Polizei geräumt. Die Bauernfamilien der Gemeinde Chol de Tumbala sind Zapatistas. Seit dem 1. Januar 1994 kämpfen die Zapatistas, organisiert in der Zapatistischen Armee zur nationalen Befreiung (EZLN) gegen Ausbeutung und Unterdrückung - für Würde, Freiheit und Gerechtigkeit. Nachdem sie 14 Tage bewaffnet kämpften und Land von Großgrundbesitzern besetzten, streiten sie nun seit über 12 Jahren mit zivilen Mitteln und wachsender Selbstorganisation für ihre Ziele. Sie haben ihre eigene Widerstandsgeschichte schreiben können, in der sie zu einer wichtigen sozialen Kraft des Landes wurden. Regierung und Kaziken antworten seit 1994 mit Gewalt auf diese basisdemokratische Bewegung. Während der aktuellen Zwangsräumung des Dorfes Chol de Tumbala wurden 30 Häuser mit Motorsägen und Traktoren demoliert. Danach folgte die komplette Verbrennung und Zerstöru ng: Kleidung, Geschirr, Nahrungsmittel, Haustiere und Haushaltsutensilien wurden gestohlen oder vernichtet. Für die Taten und Repressionen verantwortlich gemacht werden die ehemaligen Großgrundbesitzer des Gebietes Eduardo Moyte Goyado und Rafael Cruz Sanchez, die Polizei, der Richter Ernesto Hernandez Ruiz, der Bezirkspräsident von Palenque Alfredo Salgado sowie Gouverneur Pablo Salazar und Präsident Fox.


OAXACA - ein ganzer Bundesstaat erklärt den Gouverneur für abgesetzt

Im Bundesstaat Oaxaca gibt es seit Jahren Proteste gegen Menschenrechtsverletzungen. Vor allem indigene Gemeinschaften, die ihre Autonomie suchten, mussten immer wieder befürchten, von staatlichen Organen brutal angegriffen zu werden. Eine Vielzahl sozialer AktivistInnen wurde kriminalisiert und verschwand im Gefängnis - politische Gefangene, die das "Verbrechen" begangen, für ihre elementaren Rechte zu kämpfen. Am 22. Mai 2006 begannen LehrerInnengewerkschaften und Basisorganisationen aus Oaxaca eine Besetzung des historischen Zentrums der gleichnamigen Landeshauptstadt, um gegen diese Verhältnisse und für bessere Bedingungen im Bildungssektor zu demonstrieren. Nachdem gegen die DemonstrantInnen am 14. Juni äußerst brutal vorgegangen wurde - es gab rund 100 Verletzte -, wurde Gouverneur Ulises Ruiz Ortiz von einem Großteil der Bevölkerung für abgesetzt erklärt. Inzwischen haben sich noch mehr Bevölkerungsteile den Protesten angeschlossen. Ihre Hauptforderung ist - neben der Freilassung der politischen Gefangenen - der Rücktritt des Gouverneurs, der für unzählige Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht wird. Bis heute sind aufgrund der Repression einige Tote und Hunderte von Verletzten zu beklagen. Doch der Zuwachs an Menschen, Dörfern, Gewerkschaften und Gruppen, die nun in der Bewegung mitmachen, hat dazu geführt, dass die "Volksversammlung von Oaxaca" (Asamblea Popular del Pueblo de Oaxaca - APPO) gegründet wurde. Seit Wochen findet ein Aufstand statt, der sich zu einer regelrechten Revolution ausgeweitet hat. Die Bewegung geht inzwischen von der bloßen Blockade der alten Regierung zur Ausgestaltung einer neuen, basisdemokratischen Regierungsform über. Die alte Regierung des Gouverneurs versucht von provisorischen Büros in Luxushotels aus weiter "regierungsfähig" zu bleiben, was kaum gelingt. Sie greift deshalb auf verdeckte, paramilitärische Aktionen zurück und lässt AktivistInnen attackieren und ermorden.


MEXIKO & GLOBAL: DIE "ANDERE KAMPAGNE"

Im Juni 2005 veröffentlichte die EZLN die "Sechste Erklärung aus dem Lakandonischen Urwald". Darin kündigte sie eine neue Phase ihres politischen Kampfes an: Die Zapatistas wollen in einem mehrjährigen Prozess eine landesweite außerparlamentarische Linksallianz aufbauen, um schließlich eine neue, antikapitalistische Verfassung für Mexiko zu erarbeiten und zum Wohle aller Marginalisierten des Landes durchzusetzen. Die Mehrheit der Bevölkerung ist arm, etwa ein Viertel leidet unter extremer Armut. In Abgrenzung zu den politischen Parteien nennen die Zapatistas ihre Mobilisierung die "Andere Kampagne". Den völligen Bruch mit den etablierten Parteien begründen sie damit, dass alle großen Parteien das neoliberale Projekt weiterführten und nur zugunsten einer privilegierten Elite und transnationaler Konzerne regierten. Der Aufruf stieß auf große Resonanz und im Juni 2006 waren bereits über 1.000 Organisationen in den Prozess involviert. Die Pluralität des Bündnisses ist beachtlich: neben ArbeiterInnen- und BäuerInnenorganisationen finden sich Indígena-Zusammenschlüsse, Frauenorganisation, Umweltgruppen, Schwulen- und Lesbenorganisationen, Netzwerke von SexarbeiterInnen, SchülerInnen, StudentInnen, unabhängige Medien- und Kunstkollektive etc. zusammen. Die "Andere Kampagne" ist ein spannender Prozess, denn im Gegensatz zu vielen Bewegungen setzt sie explizit nicht auf eine Übernahme der Staatsmacht, sondern auf eine Gesellschaft, die auf Basisorganisierung aufbaut. Darüber hinaus vernetzen sich die AktivistInnen mit Gruppen aus aller Welt, um auf globaler Ebene gegen den Neoliberalismus zu kämpfen. Doch immer wieder und in verschiedenen Bundesstaaten werden die AktivistInnen der Kampagne angegriffen. Diese demokratische Bewegung scheint eine Bedrohung des "status quo" in Mexiko zu sein...



Wir fordern:

Schluss mit der Repression!
Die Einhaltung der Menschenrechte!
Die strafrechtliche Verfolgung der für Folter und Mord Verantwortlichen!
Dass Mexiko der Vorsitz der UN-Menschenrechtskommission entzogen wird!

Freiheit für alle politischen Gefangenen!
Solidarität mit den legitimen Forderungen der sozialen Bewegung in Atenco!
Solidarität mit den zapatistischen Bewegung in Chiapas!
Solidarität mit der breiten sozialen Bewegung in Oaxaca (APPO)!
Solidarität mit der "Anderen Kampagne"!

Solidaritäts-AG des YA-BASTA-NETZ September 2006

www.ya-basta-netz.de.vu



PS: Das mex. Konsulat liegt an der Taunusanlage 21, Frankfurt / Main, hatte aber auf "wundersame" Weise auf einmal geschlossen...

PPS: Der Aufruf zur Kundgebung kann unter folgender Adresse heruntergeladen werden:
http://projekte.free.de/bankrott/basta/20060922_Protestkundgebung_Mexiko.pdf


(Dokumentation der verlesenen Grußadresse)



Grußadresse der weiblichen Gefangenen von Atenco

Wir, die sieben weiblichen politischen Gefangenen, die seit dem 3. und 4. Mai diesen Jahres als Geiseln des unterdrückerischen Staates inhaftiert sind, schicken Euch herzliche Grüße aus dem Gefängnis von Santiaguito Almoloya.

Wir wurden gemeinsam mit 200 Personen festgenommen, unter ihnen 46 Frauen.

Bei unserer Verhaftung wurden wir körperlich gefoltert, wir wurden mit Schlagstöcken, Schildern, Fäusten und Fußtritten geprügelt. Wir bekamen Elektroschocks. Wir wurden auf dem Boden herumgeschleift, erniedrigt und entwürdigt.

Sie versuchten uns zu ersticken, wir mussten unbeweglich in erzwungenen Positionen verharren. Und wir wurden durch die Sicherheitskräfte beraubt.

Wir wurden gezwungen nicht zu schauen und nicht zu reden.

Wir wurden sexuell gefoltert, sie missbrauchten uns als Frauen, wir wurden angefasst, in Brüste und Gesäß gekniffen und gebissen.

Während des Transports waren wir gezwungen halbnackt unsere Körper zur Schau zu stellen, um uns zu erniedrigen.

Sie haben unsere Würde angegriffen, wir wurden mit Fingern und Gegenständen vergewaltigt. Wir wurden zu oralem Sex mit Polizisten gezwungen.

Wir wurden psychologisch gefoltert, sie beschimpften und beleidigten uns und drohten, uns verschwindenzulassen, uns und unsere Familien umzubringen.

Sie haben uns als Frauen gedemütigt und erniedrigt.

Bis jetzt werden wir weitergefoltert, indem wir im Rahmen eines völlig rechtswidrigen Prozesses, einer Farce, in dem unsere Agressoren nun unsere Ankläger sind, weiterhin eingesperrt sind.

Zu ihrem Bedauern haben sie uns nicht brechen können, wir haben uns gemeinsam gegen diese Ungerechtigkeiten gewehrt, wir haben nicht geschwiegen, wir haben weder unsere Verletzungen noch unseren Schmerz versteckt. Und wir werden uns weiterhin gemeinsam zur Wehr setzen, nicht nur für uns, sondern für alle, damit eine solche Situation sich nicht wiederholen kann.

Damit sie begreifen, dass wir uns nicht mehr einschüchtern lassen, dass wir jegliche Ungerechtigkeit herausschreien werden und dass wir nicht zulassen, dass die Straffreiheit weiter besteht.

WÜRDE, GERECHTIGKEIT, FREIHEIT

Politische Gefangene von Atenco,
September 2006