Repression statt Demokratisierung Unterdrückung der linken und
indigenen Opposition nimmt wieder zu. Zapatist ermordet.
GlobalisierungskritikerInnen eingesperrt und gefoltert.
Aufenthaltsbedingungen für ausländische AktivistInnen sollen verschärft
werden. In
verschiedenen Regionen Mexikos werden linke und indigene Bewegungen auf
vielfältige Weise an ihrer Arbeit gehindert oder angegriffen. Am 7. Juni
wurde Eduardo Vázquez Alvaro, ein wichtiger indigener Anführer der nördlichen
Zone des Bundesstaates Chiapas brutal ermordet. Der 50jährige Chol-Indígena,
der im zivilen Teil der zapatistischen Befreiungsbewegung aktiv war, wurde am
helllichten Tag im Stadtzentrum von Chilón von fünf Männern mit mehreren
Schüssen getötet und danach von zwei Autos überrollt. Tags darauf fand eine
Demonstration von Hunderten Zapatistas und SympathisantInnen statt, die
Großgrundbesitzer und Kaziken (lokale Machthaber) als Drahtzieher des Mordes
beschuldigten. Vázquez war ein sozialer Aktivist, der sich für die Rechte der
Indígenas einsetzte und im Zuge des zapatistischen Aufstands Landbesetzungen
mitorganisiert haben soll, weswegen er mehrere Jahre im Gefängnis saß. Dort
unterstützte er die "Stimme von Cerro Hueco", eine
pro-zapatistische Gefangenenorganisation, bis er 2001 freigelassen wurde. Die
zapatistische Befreiungsarmee EZLN hatte ihn als Unterstützer anerkannt. Die
staatlichen Behörden haben nach eigenen Angaben Untersuchungen eingeleitet;
in der Vergangenheit versandeten diese jedoch in der Regel, so dass Menschenrechtsorganisationen
bis heute Straflosigkeit und Kumpanei zwischen Staatsorganen und
Großgrundbesitzern beklagen. Generell
verschärft sich die Lage gegenüber der linksgerichteten zapatistischen
Bewegung in Chiapas. Am 10. April wurde ein friedliche Demonstration von über
4.000 Zapatistas im Landkreis Zinacantán von Anhängern der
sozialdemokratischen Partei PRD mit Steinen und Schusswaffen angegriffen. Die
PRD agiert in dieser Region gegen die Zapatistas, weil diese die
Zusammenarbeit mit Polizei und Militär verweigern. Bei dem Angriff wurden
nach Angaben der Zapatistas 35 Personen schwer verletzt, einige schwebten in
Lebensgefahr. Über 100 Familien waren zeitweise auf der Flucht.
Menschenrechtsgruppen bestätigten, dass die Mobilisierung der Zapatistas völlig
friedlich verlaufen war und machten lokale und bundesstaatliche Autoritäten
für die Gewalteskalation verantwortlich. Die
"Koordination der Zivilgesellschaft im Widerstand", ein
Zusammenschluss von unabhängigen Gruppen, die den Forderungen der EZLN nahe stehen,
beklagte im Juni, dass sowohl Legislative wie Exekutive nichts gegen die
anhaltenden Menschenrechtsverletzungen unternehmen und so ihren Anteil an der
Straflosigkeit der Täter haben. Dem chiapanekischen Gouverneur Pablo Salazar
wurde vorgeworfen, die Arbeit der staatlichen wie auch der unabhängigen
Menschenrechtsorganisationen zu verhindern und eine repressive Politik
durchzuführen. Im
Naturreservat Montes Azules stehen sich die Interessen von Kaziken, Staat und
Wirtschaft auf der einen und die von LandbesetzerInnen und schon jahrelang
dort lebenden SiedlerInnen, die zum Teil mit der EZLN sympathisieren, auf der
anderen Seite diametral gegenüber. Ab Mitte Juni sollen dort mindestens 13
Gemeinden geräumt werden. Die Regierung wirft den Dörfern "illegales
Siedeln" vor, das den dortigen Regenwald zerstöre. Die
Nichtregierungsorganisation Global Exchange bestätigte jedoch bereits 2003,
dass der Großteil der Umweltzerstörung auf Holzfirmen, Viehzüchter und das
Militär zurückzuführen ist. Die EZLN hat mehrfach darauf hingewiesen, dass es
Regierung und Unternehmen vor allem um die Ausbeutung von Bodenschätzen,
Edelhölzern und der enormen Biodiversität geht und die rebellischen Dörfer
sie dabei stören. Die
Europäische Union investiert zur Zeit 15 Millionen Euro in Chiapas, nach
Regierungsangaben soll damit ein sozial und ökologisch nachhaltiges Programm
im Reservat durchgeführt werden. Onésimo Hidalgo, Mitarbeiter des
politisch-ökonomischen Forschungszentrums CIEPAC aus Chiapas, bezeichnete
dieses Vorgehen im Interview jedoch als "ein Projekt der
Aufstandsbekämpfung. Die Regierung hat die Strategie des Teile und Herrsche
benutzt - alles mit Geld. Dadurch polarisieren sich die Gemeinden".
Gouverneur Salazar setzt in der Aufstandsbekämpfung etwas weniger auf offene
Gewalt, wie es seine Vorgänger getan hatten. Er hat sich zu einem geschickten
Akteur entwickelt, der mit finanziellen Mitteln und der Kooptation sozialer
Anführer in seine Regierung das rebellische Potential im Bundesstaat
schwächen will. Hidalgo bittet
daher die Menschen in Europa darum, "dass sie ihre Regierungen
fragen, warum sie diese Politik der Aufstandsbekämpfung unterstützen". Im ebenfalls
agrarisch geprägten südlichen Bundesstaat Guerrero klagt die
Menschenrechtsorganisation Tlachinollan über zahlreiche
Menschenrechtsverletzungen durch die Sicherheitskräfte des Staates. Unter den
mehr als 50 Klagen gegen die mexikanische Armee finden sich Beschuldigungen
wegen illegaler Exekutionen, Folter, Vergewaltigungen, außergerichtlichen
Festnahmen und Verhören, Sachbeschädigungen sowie Bedrohungen und
Einschüchterungen. Die Region Montaņa de Guerrero, in der Tlachinollan seit
10 Jahren arbeitet, ist eine der ärmsten Regionen ganz Mexikos: Nur 10% der
dort lebenden indigenen Bevölkerung haben Zugriff auf medizinische
Leistungen. Die Analphabetenrate liegt bei 75 Prozent. Aus den übrigen
südlichen Bundesstaaten liegen ähnliche Beschwerden vor, wobei von einer sehr
hohen Dunkelziffer im Bereich der Gewalttaten und der damit einhergehenden
Straflosigkeit auszugehen ist. Doch auch im
Zentrum Mexikos gibt es Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen. In
Guadalajara kam es am Rande des "3. Gipfels der Staats- und
Regierungschefs der Europäischen Union, Lateinamerikas und der Karibik"
am 28. Mai zu willkürlichen Festnahmen von KritikerInnen der kapitalistischen
Globalisierung sowie völlig unbeteiligten PassantInnen. Die Polizei war mit
großer Härte vorgegangen. Viele der 111 Verhafteten berichteten, dass sie im
Gefängnis misshandelt worden seien, 36 Stunden kein Wasser und keine Nahrung
erhielten, und keinerlei Kontakt zu ihren Angehörigen aufnehmen konnten.
Schwerverletzte wurden nicht angemessen medizinisch behandelt. Acht
festgenommene AusländerInnen wurden abgeschoben. Drei der Ausgewiesenen
versicherten nach ihrer Ankunft in Madrid, dass sie von mexikanischen
Sicherheitskräften psychologisch und physisch gefoltert und so ihre
Menschenrechte verletzt wurden. Von den Inhaftierten wurden unter Drohungen
und Folter vorformulierte Geständnisse erpresst. Ein Bündnis aus über 40
sozialen Organisationen kam in einer Presseerklärung vom 4. Juni, welche die
sofortige Freilassung der Inhaftierten fordert, zu dem Schluss, "dass
die von der bundesstaatlichen und föderalen Regierung begangenen Aktionen
Teil eines Kriegszustandes sind, der gegen die Zivilbevölkerung gerichtet
ist, und dass sie klare faschistische Praktiken der ältesten Art
darstellen". Die Protestierenden verlangen den Rücktritt des
Gouverneurs von Jalisco, Francisco Ramírez Acuņa, Mitglied der
konservativ-neoliberalen Partei der Nationalen Aktion (PAN), der auch der
mexikanische Präsident Vicente Fox angehört, weil er zahlreiche
Verfassungsrechte gebrochen habe. In
Mexiko-Stadt wurde am 23. April der Student Noél Pável González ermordet, der
in der studentischen Linken und in der pro-zapatistischen Kooperative
Smaliyel aktiv war. Eltern und FreundInnen bezeichneten das Verbrechen als
einen politischen Mord. Die zapatistische Front FZLN berichtete wenige
Tage später, dass einige Mitglieder namentliche Morddrohungen erhalten
hatten. Die Drohungen enthielten einen Hinweis auf "el Yunque" (der
Amboss), eine klandestine ultrarechte Gruppierung, die in letzter Zeit ihre
Aktivitäten in mehreren Schulen der Universität verstärkt habe. Von
verschiedenen mexikanischen Medien wird behauptet, dass diese
Rechtsextremisten Teile der aktuellen mexikanischen Regierung unterwandert
hätten. So berichtete die Wochenschrift "Proceso" Ende April, dass
Ramón Muņoz Gutiérrez, der Chef des Innovationsbüros der Regierung ist und
dem Präsidenten äußerst nahe steht, Teil dieser Gruppierung sei. Auch der
Vorsitzende der PAN, Luis Felipe Bravo Mena, sei dort aktiv. Die seit
Dezember 2000 amtierende Regierung wird hauptsächlich von der PAN gestellt.
Sie wird von KritikerInnen als äußerst neoliberal, rechtskonservativ und
frauenfeindlich beschrieben, von der westlichen Welt jedoch als
"demokratisch" betrachtet. Begleitet
werden diese beunruhigenden Vorkommnisse durch die Ankündigung der nationalen
Migrationsbehörde und des Außenministeriums, dass ausländische Personen, die
nur über ein Touristenvisum verfügen, gesucht und abgeschoben werden, falls
sie sich in irgendeiner Weise "abweichend" von ihrem Status
verhalten - besonders hervorgehoben werden Menschen, die auf "Zapatour"
nach Chiapas reisen. "Die internationalen Menschenrechtsbeobachter
sind natürlich unangenehme Zeugen der Repression gegen die indigenen
Gemeinden", erläuterte Hidalgo von CIEPAC. Er rief daher die
internationale Zivilgesellschaft dazu auf, aufmerksam zu bleiben. Ebenso besorgniserregend
ist die Verabschiedung des ley mordaza (dt.: Knebel-Gesetz) in
Chiapas, welches JournalistInnen mit bis zu neun Jahren Haft und hohen
Geldstrafen bedroht, falls sie sich der "Verleumdung" schuldig
machen. KritikerInnen des seit dem 26. Mai geltenden Gesetzes fürchten, dass
es dadurch zu einer Aushöhlung der Presse- und Meinungsfreiheit kommen wird.
Hidalgo geht davon aus, dass so auch Nichtregierungsorganisationen massiv an
ihrer Arbeit gehindert und stärker kontrolliert werden. Ist das der
häufig beschworene Übergang von der Einparteienherrschaft zur Demokratie?
Während Präsident Vicente Fox das Ausland bereist, um Investoren für den
Ausbau neoliberaler Projekte sucht und mitunter behauptet, in Chiapas gebe es
keine Menschenrechtsverletzungen mehr, erleben die linken und indigenen
Bewegungen eine wieder zunehmende Repression. Auch amnesty international
spricht der Fox-Administration im Jahresbericht 2004 eine substantielle
Verbesserung der Menschenrechtslage ab. Die Initiativen seien nicht ausreichend,
"um den häufigen und weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen ein
Ende zu setzen. Zahlreiche indigene Gemeinschaften sahen sich weiterhin
Ausgrenzung und Gewalt ausgesetzt." "Mit
Fox und Salazar hat sich nicht wirklich etwas verändert", versichert Onésimo Hidalgo, "nur
der Diskurs ist jetzt anders". Luz
Kerkeling, Gruppe B.A.S.T.A. -> Startseite Gruppe
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