(junge Welt vom 01.06.2004)
Demokratie bei den Zapatisten: Was macht ein gutes Regime
aus?
Mitglieder der
zapatistischen Regierung antworteten auf Fragen von jW
Interview:
Hannah Lesshafft / Sabine Möller, Oventik
* Im
August 2003 haben die Aufständischen der Zapatistischen Nationalen
Befreiungsarmee (EZLN) im mexikanischen Bundesstaat Chiapas ihre eigene
indigene Regierung errichtet und sie, um Verwechslungen zu vermeiden, »El
Buen Gobierno« (Gute Regierung) genannt. Seitdem gibt es fünf zapatistische
Regierungszentren. Die jW-Fragen wurden von mehreren Mitgliedern der
zapatistischen Regierung beantwortet.
F: Sie haben Ihren Regierungszentren die Bezeichnung »Caracoles«, Schnecken,
gegeben. Was bedeutet dieses Symbol?
»Caracol«, die Meeresschnecke, ist ein traditionelles Kommunikationsmedium,
das wie ein Horn benutzt wird, um etwa eine Versammlung oder ein Fest über
weite Entfernungen anzukündigen. Deshalb haben wir, die EZLN, uns dafür
entschieden, diese wichtige Tradition unserer Vorfahren, die von den
spanischen Invasoren mit Füßen getreten und zerstört worden ist, als Teil
unserer Kultur wieder aufzunehmen. Durch den Caracol stehen wir mit unserer
Unterstützungsbasis in Chiapas und verschiedenen Staaten Mexikos und mit
Gruppen aus der ganzen Welt in Kontakt. Diese Vernetzung ist nach wie vor
eine der großen Stärken des zapatistischen Kampfes. Die Caracoles sind aber
nicht bloß eine formale Einrichtung, sondern Zentren des politischen und
kulturellen Austausches. Sie geben uns eine Stimme, um gehört zu werden und
um selbst zuhören zu können. Sie sind Fenster, um von außen gesehen zu werden
und um von drinnen nach draußen zu blicken. Und es sind Türen, um einzutreten
und um hinauszugehen. Durch den Kontakt in den Caracoles können wir den
vielen internationalen Solidaritätsgruppen, die uns zu sich einladen,
wenigstens unser Wort in ihr Heimatland mitgeben. Auf diese Weise begleiten
wir sie in ihrem Kampf, obwohl die politische Situation es uns noch nicht
erlaubt, sie persönlich zu besuchen.
F: Was unterscheidet Ihre Demokratie von der des mexikanischen Staates?
Es gibt hier zwei Arten der Demokratie. Es gibt die Demokratie des Volkes,
und es gibt die sogenannte Demokratie des mexikanischen Staates. Letztere
bedeutet, daß die Regierung vor jeder Wahl Millionen von Pesos ausgibt, um
massenhaft Plakate aufzuhängen und Medienkampagnen zu finanzieren. Wir
Zapatisten auf der anderen Seite brauchen nicht einen Cent, um unsere
Demokratie zu errichten. Die Demokratie ist ein Bewußtseinszustand des
Volkes. Die Demokratie ist auch eine Notwendigkeit ...
F: ... die unterschiedlich umgesetzt wird. Wie werden Entscheidungen bei
Ihnen getroffen?
Im Zapatismus werden Aufgaben und Verantwortlichkeiten durch die Basis direkt
an einzelne Personen übergeben. Auf Gemeindeebene wird der Autonome Rat in
einer Vollversammlung gewählt, an der alle Frauen, Männer, Jugendliche und
Kinder teilnehmen. Die Regierung wird dann von Mitgliedern der Autonomen Räte
gestellt.
F: Inwieweit sind die Delegierten an die Entscheidungen der Gruppe gebunden?
Das hängt von der Angelegenheit ab. Wenn es um eine wichtige und grundlegende
Entscheidung geht, muß der Delegierte seine Basis konsultieren. Kleinere
Entscheidungen fällen die Regierungsmitglieder selbst.
F: Die Emanzipation der Frauen ist ein wichtiger Teil des zapatistischen
Kampfes. Gibt es Frauen in der Regierung?
(Antwort einer Frau): Im Moment gibt es noch keine Frauen in der Regierung.
Die Caracoles entstehen gerade erst, und wir Frauen werden Schritt für
Schritt unsere Arbeit aufnehmen. Für uns ist die Situation besonders
schwierig, weil wir zum Beispiel nicht allein in andere Orte gehen können.
Aber auch wir übernehmen politische Verantwortung. In den indigenen Gemeinden
nehmen Frauen am politischen Leben teil und üben Aufgaben im Bereich des
Bildungswesens und der Gesundheitsversorgung aus.
F: Vor zehn Jahren hat die EZLN die autonomen Gemeinden gegründet. Welche
Perspektive haben diese für die kommenden zehn Jahre?
In Zukunft hat hoffentlich jeder, der hier geboren wird, seine eigene
Gemeinde. Unsere Nachfahren sollen nicht mehr von der Bundesregierung
abhängig sein, sondern ihre eigene Regierung haben. Sie sollen es sein, die
über sich bestimmen.
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B.A.S.T.A.
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