(aus: junge Welt vom 01.06.2004)

       
Friedliche Proteste in Mexiko  
8 000 Menschen protestierten gegen den EU-Lateinamerika-Gipfel in Guadalajara  
von Christian Kube 
       
       
Kritik gab es nicht nur von offizieller Seite. Schon Wochen vor dem Dritten Gipfeltreffen zwischen den Staaten der Europäischen Union und Lateinamerikas begannen soziale und politische Gruppierungen gegen die Veranstaltung zu mobilisieren. Neben einem Zentrum für alternative Berichterstattung, Konferenzen und Foren im Rahmen eines »Alternativen Vernetzungstreffens der EU, Lateinamerikas und der Karibik« an der Universität Guadalajara wurden von lokalen Gruppen bereits im Vorfeld des Gipfels diverse kulturelle und politische Veranstaltungen angeboten.

Tage vor Beginn des Gipfels glichen Teile des historischen Zentrums der Universitätsstadt aufgrund umfangreicher Sicherheitsmaßnahmen einer Geisterstadt. Trotz gegenteiliger Ankündigungen von offizieller Seite trennten Absperrgitter und massive Polizeipräsenz den offiziellen Ort der Veranstaltung von der Bevölkerung. Erste kleinere Zusammenstöße zwischen Polizei und Kritikern des Gipfels hatte es bereits am Mittwoch während einer Demonstration gegeben. Am Donnerstag dann wurden Dutzende Studenten aus Mexiko-Stadt von der Polizei gewaltsam aus einen Park vertrieben, wo sie während des Gipfels campieren wollten. Beim anschließenden Fußmarsch durch die Stadt kam es zu weiteren Zusammenstößen und vier Festnahmen. In der Nacht wurde das Lager von 400 Polizisten umstellt, die rund 150 Studenten für sechs Stunden festsetzte. Außerhalb der Polizeikette versammelten sich etwa ebensoviele Menschen, um mit Musik und Tanz auf friedliche Weise ihre Solidarität mit den Eingeschlossenen zu demonstrieren. Am Freitag morgen rückte die Polizei schließlich ab, ohne daß es zu ernsthaften Auseinandersetzungen kam.

An der Bündnisdemonstration am Freitag nachmittag nahmen nach Angeben der Veranstalter etwa 8 000 Menschen teil. Als der Demonstrationszug die Absperrungen der Innenstadt erreichte, kam es doch noch zu Zusammenstößen mit der Polizei, die mit Tränengas, Wasserwerfern und Knüppeln gegen den Protestzug vorging. Bei den anschließenden Tumulten wurden 35 Menschen, darunter zehn Polizisten, verletzt. 75 Demonstranten blieben in Haft, unter ihnen auch vier Ausländer, denen nun die Ausweisung aus Mexiko droht.    

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(aus: junge Welt vom 01.06.2004)

Siesta mexicana
       
Zwei Tage EU-Lateinamerika-Gipfel brachten allein eine nichtssagende Erklärung 
von Harald Neuber und Christian Kube       
       


Schon vor dem Dritten Gipfeltreffen der Europäischen Union, Lateinamerikas und der Karibik waren die Erwartungen tief gesetzt worden. Von den vergangenen Veranstaltungen in Rio de Janeiro (1999) und Madrid (2002) hallten zu Beginn des Treffens im mexikanischen Guadalajara am Freitag nur die Appelle an die »Wertegemeinschaft« und den gemeinsamen Willen zu einer multipolaren Weltordnung nach. Ähnlich nichtssagend ging es bei der dritten Runde weiter. In der Abschlußerklärung forderten die Vertreter der 58 teilnehmenden Staaten eine stärkere Rolle der Vereinten Nationen in der Weltpolitik. Betont wurde die Notwendigkeit eines »gemeinsamen Engagements der Staatengemeinschaft für Frieden, Sicherheit, Entwicklung und sozialen Fortschritt« - Ziele, die in der Vergangenheit auch IWF, Weltbank, NATO und das Weiße Haus für sich reklamiert hatten. Sie indes sind Teil des Problems weltweiter Ungerechtigkeit und des Militarismus. Der Blick aufs Detail zeigt daher, daß auch in Guadalajara hinter den Phrasen kein Politikwechsel zu verzeichnen war.

Der kubanische Staatschef Fidel Castro hatte dem Gipfeltreffen eben deshalb seine Absage erteilt. Er sehe für sich keinen Grund, an einem »Gipfel ohne Inhalte« teilzunehmen, so Castro, der sich durch seinen Außenminister vertreten ließ. Nichtsdestotrotz stand Kuba im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, nicht zuletzt wegen zahlreicher gut besuchter Veranstaltungen der Solidaritätsbewegung am Rande des Gipfels. Auf Druck der USA hatte die christlich-konservative Regierung in Mexiko-Stadt Anfang Mai ihren Botschafter aus Havanna abgezogen und den kubanischen Chefdiplomaten des Landes verwiesen. Der mit viel Pathos verteidigte Multilateralismus hält eben auch bei der führenden lateinamerikanischen Macht nur so lange, wie er die Regierung nicht in Widerspruch mit dem imperialistischen Regime in Washington bringt. Nachdem aber selbst aus konservativen Kreisen Mexikos Kritik an der willfährigen Politik der Regierung unter dem ehemaligen Coca-Cola-Manager Vicente Fox laut wurde, nutzte dieser den Gipfel in Guadalajara zur Schadensbegrenzung. Man arbeite an einer Normalisierung des diplomatischen Verhältnisses, hieß es. Die Botschafter würden bald wieder zurückkehren können.

Inhaltlich wurde in fünf verschiedenen »Minigipfeln« über die Zusammenarbeit der EU mit den verschiedenen Regionen debattiert: Mexiko, Karibik, Zentralamerika, MERCOSUR (Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay) und Andengemeinschaft (Bolivien, Chile, Kolumbien, Ecuador und Peru). Die Europäer stellten eine Verringerung der Schutzzölle für Agrarprodukte in Aussicht, verlangten dafür aber eine weitere Verringerung des staatlichen Sektors der lateinamerikanischen Ökonomien, also eine weitere Deregulierung der Wirtschaft, und die Öffnung der Märkte für europäische Agrarprodukte.

Der gemeinsamen Abschlußerklärung gingen lange Diskussionen voraus. Für Streit sorgte vor allem die Verurteilung der Folterfälle in Irak. Gegen den Widerstand mehrerer lateinamerikanischer Staaten setzten die EU-Vertreter eine entschärfte Formulierung durch, in denen die US-Regierung als Verantwortliche ungenannt bleibt. Auch die von Kuba und anderen lateinamerikanischen Staaten geforderte Verurteilung des Helms-Burton-Embargogesetzes und die seit Anfang Mai verschärften Sanktionen gegen Kuba seitens der USA fanden keine Erwähnung. Dafür konnte sich der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder bei der Diskussion um eine Reform der Vereinten Nationen der Hilfe Mexikos für einen ständigen Sitz der BRD im Weltsicherheitsrat erfreuen. »Ich habe hier niemanden getroffen, der sich einem deutschen Sitz kritisch gegenübergestellt hätte«, sagte Schröder am Rande seiner Werbetour. Für den sozialdemokratischen Kanzler ist der Multilateralismus offenbar schon dann erreicht, wenn das eigene Land im Sicherheitsrat vertreten ist.

Trotz des Optimismus von europäischer Seite und des Pathos, dessen sich der mexikanische Präsident Vicente Fox als Gastgeber des Gipfels bediente, blieben viele Fragen offen. Etwa, wie sich die immer weiter ausbreitende Armut in der Region bekämpfen läßt, wie Menschenrechte gewahrt und die Schuldenproblematik geklärt werden können. Weil Antworten darauf noch nicht einmal gesucht wurden, kritisierte auch der venezolanische Präsident Hugo Chávez den Gipfel als »Zeitverschwendung«. Chávez verurteile den globalen Neoliberalismus und rief die EU dazu auf, die »Verrücktheit« der Bush-Regierung zu bremsen. Damit sprach er aus, was sich viele Menschen in Lateinamerika erhoffen: eine Verminderung der US-amerikanischen Dominanz in der Region durch eine Annäherung an die EU.

Bei dieser Hoffnung dürfte es jedoch bleiben. Vor 1989 gingen schließlich noch zwei Drittel der deutschen Direktinvestitionen nach Lateinamerika. Heute macht dieser Posten gerade noch ein Drittel aus. Die Erklärung dazu lieferte vor wenigen Wochen bei einer Konferenz der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin der Chefökonom einer führenden deutschen Bank. »Der Trend ist damit zu erklären«, sagte der Banker, »daß wir seit 1989 Nachholbedarf in anderen Regionen der Welt haben.« 

 

 

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