Mais im Luxushotel

NAFTA-Zaren treffen auf Indígenas im anhaltenden Maiskrieg

 

Davos bietet einen Vorteil: StörerInnen können fern gehalten werden. Nicht so im mexikanischen Oaxaca, wo Indígenas globale Wissenschaftsleader belästigten und das Management eines Luxushotels nervten.

 

 

John Ross*

 

Oaxaca de Júarez, 23.3.04. „In diesem Teil der Welt ist der Mais geboren. Das Haus des Mais ist unser Land“, liest ein ernster junger Repräsentant der Zapoteca Indígenas aus dem Manifest „Zur Verteidigung unseres Mais“ vor. Indigene und Nichtregierungsorganisationen haben das Dokument in der letzten Nacht im alten Steingebäude der Kathedrale von Santo Domingo im Herzen dieser Kolonialstadt ausgearbeitet. „Wir sind Menschen des Mais. Mais ist uns Bruder und Schwester. Der Grund unser Kultur, die Realität unserer Gegenwart, die Mitte unseres täglichen Lebens. Wir werden euch nicht erlauben, ihn zu misshandeln“.

 

Die achtzehn renommierten WissenschaftlerInnen hören sich Aldo González’ Worte mit geübter Indifferenz an, gähnen oder starren die flackernden Kerzen auf dem Altar zu ihren Füssen an, den die MitverschwörerInnen von González errichtet haben, um dieses geheiligte Korn zu ehren. Die Gelehrten bilden das Konsultativkomitee zu gentechnisch verändertem Mais der Umweltkommission der Nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA. „Wir sind Menschen des Mais und im permanenten Kampf gegen die dominierenden Winde eurer Wissenschaft. Ihr habt unser Wissen immer abgelehnt, es unterdrückt und ignoriert. Jetzt verlangen wir, gehört zu werden“.

 

Der surreale Schauplatz für diesen Zusammenprall der Kulturen am 11. März bildete das schmuckste Hotel von Oaxaca, das „Victoria“ mit seiner Panorama-Sicht auf die Stadt, die von der UNO zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Das Hotelmanagement ist sich nicht gewohnt, so viele dunkelhäutige Indiogesichter auf seinem Anwesen zu sehen. Nur denjenigen Indigenen, die als Zimmermädchen und Gärtner arbeiten, ist der Zutritt gestattet. Jetzt sind den beiden Pickups auf dem Parkplatz ein Dutzend Mitglieder des Indigenen Rates Ricardo Flores Magón entstiegen, welche acht verschiedene indigene Völker aus 23 Comunidades aus jeder Ecke dieses stark indigen bevölkerten Einzelstaates vertreten. Sie sorgen mit ihren Hörnern und farbigen Flaggen des Widerstandes für Tumult. Doch dies sei Privateigentum, insistiert das Management, die Indígenas könnten hier nicht bleiben. Die schwarzuniformierten, mit Tränengas und Schlagstöcken ausgerüsteten privaten Sicherheitsleute bereiten sich nervös auf die Räumung vor.

 

Hoch über der Stadt, in den Bergen der Sierra del Norte, bereiteten indigene BäuerInnen den Boden für die Aussaat. Genau um diesen Mais, der bald in die frsich gepflügten Äcker gepflanzt würde, ging es hier im „Victoria“ –. „Immer wieder habt ihr versucht, uns dazu zu zwingen, den Mais aufzugeben. Ihr wollt, dass wir, statt Mais anzubauen wie unsere Grossväter seit Anfang unserer Rasse, ihn von den USA kaufen“. Die junge Mixteca-Frau schleudert draussen diese trotzigen Worte dem Management entgegen. Drinnen spinnt Aldo González den Faden weiter: „Die offizielle Politik nimmt unsere Vision nicht zur Kenntnis. Mais ist für uns nicht einfach irgendein Getreide. Er beinhaltet unsere Vergangenheit, bestimmt unsere Gegenwart und ist der Beginn unserer Zukunft. Wir werden den Mais weiter anpflanzen, den uns unsere Grossväter vermacht haben“.

 

Aldo González ist der engagierte Ex-Bürgermeister von Gueletao in der nördlichen Sierra, einer Bergstadt, wo einst, in den frühen Tagen der mexikanischen Republik, ein anderer Zapoteca aufgestanden war: Bénito Juárez. Seit auf dem Maisfeld von Olga Toro in Calpulapán oberhalb von Gueletao gentechnisch veränderter Mais gefunden wurde, brodelt es in der Sierra. Die Verunreinigung wurde auf Maisimporte im NAFTA-Rahmen durch Diconsa zurückgeführt, der staatlichen mexikanischen Verteilungskette von Nahrungsmitteln. Später bestätigte der gebürtige Mexikaner und Mikrobiologe Ignacio Chapela von der University of California-Berkeley diese Befunde und überbrachte in der November 02-Ausgabe des britischen Wissenschaftsmagazins Nature der Welt die schlechte Nachricht – unter massivem Druck von Big Biotech widerrief das Blatt den Artikel sieben Monate später.

 

Dennoch haben in der Folge mindestens zwei mexikanische Regierungsstudien die Angaben von Chapela bestätigt – die eine wurde vom Nationalen Umweltsinstitut (INE), die andere von einer interdisziplinären Bio-Sicherheitskommission verfasst. Der INE-Report bezog sich auf 4000 Proben, die in 184 Gemeinden von Oaxaca und Puebla gesammelt wurden und enthüllte eine mittlere Verunreinigung von 7.6% in allen Regionen - einzelne Regionen sollen allerdings eine Verunreinigung bis zu 60% aufweisen. Beide Berichte werden unter Verschluss gehalten.

 

„Die grossen Lügner des Marktes und des Staates geben sich als ‚Experten’ aus. Sie sagen, unser Saatgut tauge nichts und unsere Anbauarten seien ungeeignet. Sie nötigen uns, Saatgut von ihnen zu kaufen und wollen uns ihre Art, Mais und Erde zu töten aufzwingen“. Einen trockenen, toten Maiskolben vor sich haltend, liest Aldo weiter aus dem Manifest. „Wir fanden dies in einem Hausgarten von Gueletao“, erklärte er später. „Es enthält nicht ein, sondern drei gentechnisch veränderte Stränge – zwei von Bt (chemisch gegen Raupenbefall geschützt) und einen von Starlink“. Das US-Landwirtschaftsministerium verbot Starlink-Mais für den menschlichen Verzehr, nachdem Gesundheitsbeamte in den USA in 45 Fällen allergische Reaktionen festgestellt hatten. Kraft Corporation wurde dadurch im Frühling 2000 zur grössten Rückkaufaktion von Fertigfood-Produkten (‚Taco Bell’) in der Geschichte der US-Supermärkte gezwungen. Aventis, der europäische Biotech-Multi, der den Samen entwickelt hatte, musste die gesamte Starlink-Maisernte der USA jenes Jahres aufkaufen. Jetzt vermutet man Mais-Exporte von Starlink nach Japan und Korea. Aldo Gaonzalez´Fund bestätigt den Verdacht, dass Starlink nun auch auf Mexiko losgeht.

 

„Wir haben den WissenschaftlerInnen geduldig zugehört, aber jetzt sind wir müde. Wir werden ihnen nicht mehr länger zuhören. Basta ya mit ihren Lügen!“ Viele wütende dunkle Gesichter folgen Aldo am Mikrophon. „Erst kommt ihr und zerstört unsere Landwirtschaft, damit ihr uns euer Gift verkaufen könnt“, protestiert Cirilo Peña, ein alter Mann aus dem Isthmus von Tehuantepec. „Ihr versucht uns umzubringen, so wie ihr eure eigenen Indígenas umgebracht habt“. Der alte Bauer schüttelt seine Hand voller Samen und hält ein Schluchzen zurück: „Das ist das einzige Erbe, das wir unseren Kindern übergeben“. „Fuera semillas asesinas!“, rufen die Indígenas, „Raus mit den Killersamen!“. Die distinguierten, als RassistInnen, ImperialistInnen und MitträgerInnen eines Ökozids und eines Genozids angeschuldigten WissenschaftlerInnen betrachten ihre Schuhe. Peter Maven, ein NAFTA-Star, Träger des National Medal of Science und von ‚Time Magazine’ zum „Helden des Planeten“ ernannt (er soll in den Monsanto-Clan eingeheiratet haben), ordnet seine Schreibutensilien stets von Neuem.

 

„Traurig haben wir die Komplizenschaft der Behörden gesehen, die für die Multis die schmutzige Arbeit erledigen. Jetzt können wir nicht mehr länger darauf warten, dass die Regierung handelt. Die Bedrohung für unseren Mais wächst jeden Tag“. Die Maiskriege toben seit Chapelas Entdeckung oben in Calpulapán. Und nirgendwo so wie in Oaxaca und Puebla, wo der Mais vor 5’000 bis 7’000 Jahren zum ersten Mal kultiviert und zur Basis der grossen mexikanischen Kulturen von Teotihuacán bis zu den ToltekInnen und AztekInnen wurde. Im Süden bezeichnete das heilige Buch der Mayas, der Popol Vuh, die Mayas als „Menschen des Mais“. Die moderne Maya-zapatistische Rebellion keimte während der Vorbereitung der NAFTA-Maisquoten und explodierte am 1. Januar 1994, als die NAFTA, dieses Sinnbild der Globalisierung, brutale Realität wurde. Zehn Jahre später importiert Mexiko jährlich 6 Millionen billigen US-Mais, von dem möglicherweise bis zu 60% gentechnisch verändert ist.

 

Die mexikanische Regierung hat die unablässigen Basta Ya! der indigenen BäuerInnen gegen diese Importe überhört. Ein besonders gewiefter Schurke ist der stellvertretende mexikanische Agrarminister zuständig für internationalen Handel, Víctor Villalobos. Greenpeace beschuldigt ihn, von Big Biotech angestellt zu sein. Am letztjährigen Treffen der Unterzeichner des Biodversitäts-Protokolls von Cartagena in Kuala Lumpur legte Villalobos das Veto gegen die Kennzeichnung von Gentech-Maisimporten auf Verkaufspackungen ein. Da sich die grossen Monopolisten wie Cargill weigern, Gentech- von natürlichem Mais getrennt nach Mexiko zu verschiffen, haben sich Greenpeace-AktivistInnen an die Anker von Schiffen unterwegs zum Hafen von Veracruz angehängt.

 

„Die Würde der indigenen Völker ist ansteckend. Unseren Mais zu verteidigen, heisst die Sonne, die Erde, das Wasser und den Wind zu verteidigen. Wir werden nie nachlassen, unseren Mais zu verteidigen“. Oaxaca ist nicht die einzige Kampffront im Maiskrieg. Als Vorsitzender der Bio-Sicherheitskommission drückte Villalobos im Senat ein Gesetz zur „Sicherstellung“ der nationalen Maisversorgung durch, das alle Hindernisse für den Import von genetisch veränderten Organismen aus dem Weg räumen sollte. Aber das Gesetz scheiterte diesen Frühling im Parlament, nachdem Chapela und der kanadische Farmer Percy Schmeiser, dessen Händel mit Monsanto legendär sind, als Zeugen aufgetreten sind.

 

Der 73-jährige Schmeiser schreckte die mexikanischen GesetzgeberInnen mit seinen Science Fiction-Horrorstories über die Genpolizei von Monsanto auf:über die Durchsuchungen der Royal Canadian Mounted Police, über zerstörten Mais, tödliche Pestizide und das Super-Unkraut. Die Verfolgung Schmeisers durch Monsanto wegen angeblichem Diebstahl von über den Wind verbreiteten Gentech-Samen wird im Juni vor das kanadische Höchste Gericht kommen. Ein Verdikt, wonach der Biotech-Titan aus St. Louis Samen und Pflanzen nicht patentieren könne, könnte der Industrie den Boden unter den Füssen wegziehen.

 

Ironischerweise arbeiten viele Bauern aus Oaxaca, aufgrund der mexikanischen Landwirtschaftspolitik zugunsten von NAFTA-Importen von ihrem Land vertrieben, in den Rebbergen des kalifornischen Mendocino, wo AktivistInnen trotz einer 20-fachen finanziellen Übermacht der  Biotechindustrie eine Massnahme mit überwältigendem Mehr durchbrachten, welche die erste Gentech-freie Zone in Nordamerika schafft. Zuhause hat Luis Bustamante, Direktor des Umweltinstituts von Oaxaca, ähnliche Massnahmen vorgeschlagen, die, falls vom Kongress des Gliedstaates angenommen, Oaxaca zum ersten gentechfreien Brückenkopf in Mexiko machen würden.

 

Zum Oaxaca-Hearing vom 11. März kam es aufgrund der Klage von 17 indigenen und Nichtregierungsorganiationen bei der Umweltkommission der NAFTA. Der vorläufige Report des trinationalen Konsultativkomitees renommierter WissenschaftlerInnen, der ganze Kapitel nur in Englisch enthält, wird dem NAFTA-Ministertreffen in Puebla vom kommenden 21. Juni unterbreitet werden. Obwohl die Empfehlungen unter Verschluss gehalten werden, ist die Handschrift unverkennbar. Amanda Gálvez von der Bio-Sicherheitskommission und der frühere Rektor der Nationaluni José Sarukián, beide aus dem Villalobos-Tross, insistieren, dass Mexiko sein Moratorium zu Gentechsaatgut „entkrampfen“ muss, um im Biotech-Derby zu bestehen. Für Gálvez ist der Gentechbefall in Oaxaca „ein Experiment, das ausser Kontrolle geriet – wir müssen alles tun, um es wieder unter Kontrolle zu kriegen“. Ihre Aussage scheint den Verdacht zu bestätigen, dass die mexikanische Regierung und die Biotechindustrie Oaxaca zum grossen Experimentierfeld und seine Indígenas zu Versuchskaninchen für die Schöne Neue Welt des Gentechmais gemacht haben.

 

Trotz des indigenen Aufschreis sind die Chancen gering, dass eine Anerkennung der Rolle des Maises in der indianischen Kosmovision das Gemüt der WissenschaftlerInnen kühlen werde. „In Oaxaca werden wir Autonomie ausüben, die einzig legitime Souveränität, jene des Volkes, um unseren Mais zu verteidigen. In jedem Dorf, in jedem Strassenblock, in jeder Stadt werden wir friedlich und demokratisch kämpfen. Que Viva Nuestro Maíz!“

 

  • Der US-Journalist John Ross lebt seit Jahren in Mexiko und schreibt die wöchentliche Kolumne „Blindman’s Buff“.

 

 

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