(aus: junge Welt vom 27. Mai 2004)

Viel Lärm um nichts

Gipfeltreffen der Staatschefs von EU und Lateinamerika in Mexiko. / Kaum Hoffnung auf greifbare Ergebnisse

von Gerold Schmidt, Mexiko-Stadt (npl) 

In der mexikanischen Stadt Guadalajara beginnt am Freitag der dritte Gipfel zwischen Europäischer Union und Lateinamerika sowie der Karibik. Aus den 25 europäischen Nationen und den 33 Ländern des amerikanischen Kontinents reisen mindestens 40 Staatschefs zu dem zweitägigen Treffen an, darunter auch der deutsche Kanzler Gerhard Schröder. Soziale Kohäsion und Multilateralismus, letzterer vor allem im UNO-Rahmen, stehen offiziell im Mittelpunkt der Diskussionen und Arbeitsgruppen. Die »strategische Allianz«, von der beide Seiten immer wieder gerne sprechen, ist nach Meinung politischer Beobachter aber eher ein Papiertiger.

 

Größere Überraschungen werden denn auch von diesem Gipfel nicht erwartet. Zumal die ursprünglich für das Treffen anvisierte Unterzeichnung eines Freihandelsabkommens zwischen der EU und Ländern des regionalen lateinamerikanischen Wirtschaftsbündnisses Mercosur wegen bestehender Differenzen vor allem in der Agrarpolitik und den Auseinandersetzungen innerhalb der Welthandelsorganisation bis auf weiteres verschoben ist. Nicht umsonst sind es neben dem Umgang mit den Auslandsschulden der Entwicklungsländer die Agrarsubventionen der EU, deretwegen die bereits zu Wochenanfang angereisten Delegationen noch um die Abschlußerklärung des Gipfels feilschen.

 

Was das Thema Wirtschaft anbelangt, wollen die EU-Länder die Präsenz aller lateinamerikanischen Regierungen nutzen, um auf Freihandelsverträge mit Mittelamerika und den Andenstaaten hinzuarbeiten. Diskussionen werden weitgehend hinter verschlossenen Türen stattfinden. Aus diplomatischen Kreisen verlautete im Vorfeld, daß sich die EU als »Partner« anbieten wolle. Das früher einmal benutzte Wort vom »Gegengewicht zu den USA« wird tunlichst vermieden. Den realen Verhältnissen entsprach es sowieso nie.

 

Mit »Skepsis, wenig Hoffnung und noch weniger Enthusiamus« charakterisierte der in Mexiko lehrende Integrationsforscher Stephan Sberro das Klima vor dem Gipfel. Allerdings könnte das Treffen doch spannend werden. Beispielsweise durch die Präsenz der kubanischen Delegation, unter Umständen von Staatschef Fidel Castro persönlich. Die EU wird kaum umhin kommen, sich zu den von US-Präsident George W. Bush verkündeten verschärften Sanktionen gegen die Insel zu äußern.

 

Besonderes Interesse wird auch dem neuen spanischen Präsidenten Rodríguez Zapatero gelten. Von ihm erwarten die lateinamerikanischen Länder mehr Offenheit und Bereitschaft zum Dialog. Abseits vom Hauptprogramm wird die Anwesenheit mehrerer politischer Schwergewichte zu reger Gesprächsdiplomatie führen. Der am Donnerstag angereiste Kanzler Schröder beispielsweise hat nicht nur ein längeres Treffen mit Mexikos Präsident Vicente Fox im Terminkalender, sondern wird ebenso Einzelgespräche mit Brasiliens Lula da Silva, Argentiniens Kirchner, Chiles Lagos und Perus Präsident Toledo führen.

 

Bereits seit Dienstag findet unter dem Motto »Alternativen verbinden« eine Art Gegengipfel verschiedender mexikanischer und ausländischer Organisationen statt. Das Bündnis Otro Mayo Guadalajara ruft unter anderem zur Gründung eines Amerikanischen Wirtschafts- und Sozialrates auf und kritisiert die Wirtschaftspolitik der EU-Länder in der Region. Die Investitionspolitik der EU habe in den Ländern der »dritten Welt«, darin ist man sich beim Gegengipfel einig, in keiner Weise zur Lösung der sozialen Probleme beigetragen.

 

 

 

(aus: junge Welt vom 27. Mai 2004)

»Freihandel« mit EU und USA: Wie sehen die Alternativen aus?

jW sprach mit Jórge Ramírez Quetzal, einer der Organisatoren des Bündnisses Otro Mayo Guadalajara

Interview: Christian Kube, Guadalajara

 

Am morgigen Freitag beginnt in Guadalajara, Mexiko, der 3. Lateinamerikanisch-Karibisch-Europäische Wirtschaftsgipfel. Das Bündnis Otro Mayo Guadalajara organisiert alternative Veranstaltungen gegen den Gipfel.

 

F: Welche Ziele hat der Gegengipfel in Guadalajara?

 

Neben Demonstrationen und alternativer Berichterstattung liegt ein Schwerpunkt im Aufbau eines lokalen Netzwerkes, das von 40 bis 50 verschiedenen Organisationen getragen wird. Wir wollen damit erreichen, daß lokale Probleme im Zusammenhang mit der internationalen Dimension dieses Gipfels gesehen werden. Ein zentrales Anliegen bei solchen Veranstaltungen ist aber natürlich auch, den Aktivisten aus verschiedenen Organisationen und Bewegungen die Möglichkeit zu bieten, konkrete Erfahrungen aus der politischen Widerstandsarbeit auszutauschen. Das ist wichtig, um die Isolation zu durchbrechen, in die wir durch den neoliberalen Konsens in den letzten Jahren gedrängt worden sind. Ein Ziel ist, daß wir uns auf die Gemeinsamkeiten konzentrieren und die politischen Unterschiede der teilnehmenden Gruppen respektieren, um effektiven Widerstand gegen den geplanten Freihandel und andere neoliberale Projekte leisten zu können.

 

F: In der regionalen Presse hielt sich im Vorfeld des Gipfels die These, daß eine ökonomische Annäherung an die EU die Abhängigkeit Zentralamerikas von den USA verringern und eine Alternative zu der für das kommende Jahr geplanten US-dominierten Freihandelszone FTAA (Free Trade Area of the Americas) darstellen könnte. Sehen Sie die Entwicklung also zu pessimistisch?

 

Im Grunde wird uns von der EU nur eine alternative Unterdrückung angeboten. Die Entwicklungspolitik steckt in einer fundamentalen Krise, und das weltweit. Wir leben außerdem mit der realen Bedrohung der Verwüstung unseres eigenen Planeten. Angesichts dessen spielt es keine große Rolle, ob die wirtschaftliche Abhängigkeit sich ein bißchen mehr oder ein bißchen weniger aggressiv darstellt. Wahr ist, daß es bis jetzt kein Entwicklungsmodell gibt, welches in der Lage wäre, die bestehenden Probleme der sogenannten Dritten Welt zu lösen. Die große Herausforderung für eine humane Globalisierung aber ist die Schaffung einer realen Entwicklungsalternative, von der die kulturelle Vielfältigkeit respektiert und die politische Macht dazu genutzt wird, die freie Entwicklung der Menschen zu gewährleisten.

 

F: Trotz der sozialen Rhetorik, die auf solchen Gipfeltreffen gemeinhin vorherrscht, gibt es einen weltweiten Druck auf globalisierungskritische Bewegungen. Hatten Sie im Vorfeld des Gipfels in Guadalajara Probleme?

 

Seit einiger Zeit können wir wieder einen Anstieg der Gewalt gegen alternative Bewegungen feststellen, besonders in Mexiko-Stadt. Vor einigen Wochen wurde ein Compañero der UNAM, der größten und politisch wichtigsten Universität Mexikos, ermordet. Diese Tat stand offenbar in Verbindung mit seinem Engagement in verschiedenen sozialen Organisationen. Fünf Tage nachdem sein Verschwinden polizeilich gemeldet wurde, fand man ihn mit Folterspuren aufgehängt auf einem Hügel in der Nähe der Hauptstadt. Danach erhielten Genossen, die auch zum Gegengipfel nach Guadalajara kommen, E-Mails mit offenen Drohungen.

 

F: Wie begegnet man Ihnen von Regierungsseite?

 

Die Organisatoren solcher Gipfel haben offensichtlich von den vorherigen Veranstaltungen gelernt. Das äußert sich beispielsweise in der Form, wie die Polizei die Sicherheitsvorkehrungen für den Guadalajara-Gipfel handhabt. Es wird keine sichtbaren Absperrungen geben, weil das einem negativen Bild in der Öffentlichkeit Vorschub leistet. Trotzdem ist sowohl die Polizeipräsenz als auch die politische Repression in den letzten Wochen in Guadalajara merklich angestiegen. So wurden wir beispielsweise von der Polizei einfach auf der Straße festgenommen, weil wir als Aktivisten erkennbar waren.

 

Mehr Infos: www.otromayoguadalajara.org

 

 

 

MEXIKO - Aufruf zum Gegengipfel

 

(Buenos Aires, 18. Mai 2004, púlsar).- Am 28. und 29. Mai 2004 findet im mexikanischen Guadalajara das dritte Treffen zwischen Staats- und Regierungschefs der EU, Lateinamerika und der Karibik statt. Soziale Organisationen rufen parallel zu einem Gipfel vom 25. bis zum 29. Mai auf. Der gemeinsame Aufruf mit dem Titel "Alternativen verknüpfen” ("Enlazando Alternativas”) schlägt vor die Sichtweise, der von Entwicklung ausgeschlossenen Menschen in diesen Ländern darzustellen.

 

Die Nichtregierungsorganisation Mexikanisches Netzwerk gegen den Freihandel RMALC (Red Mexicana contra el Área de Libre Comercio de las Américas) meinte, man wolle damit demonstrieren, dass das von dem Treffen vorgeschlagene Entwicklungsmodell nicht gangbar sei. Es diene weder dem Aufbau von Frieden, Demokratie noch einer integrativen, gerechten und nachhaltigen Entwicklung. Auf dem Sozialgipfel sollen die Formen wie sich soziale Gruppen in Lateinamerika, Europa und der Karibik organisieren analysiert werden. Außerdem soll über Strategien gesprochen werden, die es Netzwerken ermöglicht sich zu artikulieren um so den Vorschlägen und Entscheidungen der "Ausgeschlossenen" Gehör zu verschaffen. Im Arbeitsprogramm parallel zum Gipfel werden Konferenzen über "Geschlechterrollen im globalen ökonomischen Modell”, über "Gewalt, Sicherheit und Militarisierung” und über "Neoliberalismus, dessen Auswirkungen und Alternativen” stattfinden.

 

 

 

 

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