Oventik, wo die Freiheit atmet

Die Zapatistas des Hochlandes von Chiapas vereinen ihre autonomen Bezirke

 

von Alex Contreras Baspineiro, Narco News

 

25. April 2004

 

Oventik, Chiapas, Mexiko, 24. April 2004: "Sie befinden sich auf

zapatistischem Rebellengebiet", verkündet ein großes Schild an der

Autostraße, die San Christóbal de Las Casas mit dem Dorf Oventik im

mexikanischen Bundesstaat Chiapas verbindet. "Hier befehlen die Leute

und die Regierung gehorcht". Die indigenen Männer und Frauen hier, die

meisten mit verhüllten Gesichtern, errichten eine neue Gesellschaft,

basierend auf Freiheit, Demokratie und Gleichheit.

 

"Unsere Organisation ist nicht nur eine Antwort auf die schlechte

Regierung, sondern auch auf das neoliberale Modell und der

imperialistischen Politik, die auf unsere Gemeinden gnadenlos

angewendet wird", sagt Abraham, einer der Anführer des

Empfangskomitees von Oventik.

 

Abraham erklärte voller Überzeugung, dass es eine gemeinsame Lage

in ganz Lateinamerika gibt, das Produkt der Auflagen der Vereinigten

Staaten und anderer Länder. Diese Auflagen beeinträchtigen nicht nur

die lokale Landwirtschaft, nicht nur Schulbildung, Kultur und

medizinische Versorgung, sondern auch die Wirtschaftspolitik.

 

In Oventik, das auch den zapatistischen Namen "Widerstand und

Rebellion für die Menschheit" trägt, verrichtet jeder seinen Teil an der

Arbeit, weil sie alle als Gleiche gelten. Die Männer arbeiten als

Bauarbeiter oder Schreiner, die Frauen machen sauber oder sind im

Kunsthandwerk tätig. Infolgedessen ziehen sich auf beiden Seiten der

Hauptstrasse eine Reihe von Holzbauten hin, fast alle bedeckt von

Murales (span:=Wandbilder) mit Revolutionären wie Emiliano Zapata,

Ernesto "Che" Guevara und Subcomandante Marcos.

 

Die meisten Zapatistas begrüßen jeden Fremden, den sie sehen,

reserviert, aber mit Herzlichkeit. Bevor sie die Fragen irgendeines

Journalisten beantworten, stellen sie ihre eigenen Fragen. Sie wollen

nicht nur etwas über den Hintergrund des Journalisten erfahren, sondern

auch, was in anderen Dörfern geschieht.

 

Drei Zapatistas namens Ezequiel, Javier und Abraham empfingen

diesen Reporter in Oventik.

 

Javier erklärte, dass eine neue Etappe des Widerstandes anfing,

nachdem die Regierung es versäumte, die San Andrés-Abkommen von

1996 zu erfüllen, die den indigenen Völkern Mexikos Rechte und

Autonomie garantierten. Die Menschen in den zapatistischen

Gemeinden lehnen jetzt alle Regierungsprogramme ab. Sie haben ihre

eigene zentrale Klinik hier in Oventik gebaut, in der sie freie Behandlung

und medizinische Versorgung anbieten, und sind dabei, "Mikrokliniken"

in all ihren anderen Dörfern zu bauen. Sie erhalten auch die Hilfe

freiwilliger medizinischer ArbeiterInnen. Sie haben hier ihr eigenes

Schulbildungssystem einschließlich einer lokalen Oberschule mit 150

Studenten. Nach ihrem Abschluss werden diese Studenten Lehrer für

die jüngsten Kinder werden, und gründen neue Schulen.

 

An der wirtschaftlichen Front haben die Zapatistas Kollektive gebildet, um

Kaffee direkt zu exportieren (anstatt über Zwischenhändler, die

mitgeholfen haben die Kaffeeanbauer von Chiapas ins Elend zu stürzen).

Sie haben für zapatistische Frauen Einkommensquellen geschaffen,

indem sie ebenfalls die Gründung von Kollektiven für Mais, Bohnen und

Kunsthandwerk unterstützten. Diese Kollektive gehen nun dazu über, die

nationalen und internationalen Märkte zu beliefern.

 

Juntas der Guten Regierung

 

Die Junta der Guten Regierung von Oventik ist die höchste zapatistische

Autorität im Hochland von Chiapas. Es gibt sieben autonome

zapatistische Bezirke in dieser Region - San Juan de la Libertad,

Magdalena de la Paz, San Pedro Poló, 16 de Febrero, Santa Catalina,

San Juan Apostol Cancuk und San Andrés de los Pobres.

 

Vierzehn RepräsentantInnen - zwei aus jedem Bezirk - sitzen im Rat, alle

mit den gleichen Rechten und Pflichten. Sie leisten eine Amtszeit von

drei Jahren ab, können aber vor dieser Zeit abgesetzt werden, wenn die

jeweilige Gemeinde beschließt, dass sie schlechte Arbeit leisten.

 

"Wir haben täglich eine Tonne Arbeit, aber weil die Leute uns

hergeschickt haben, müssen wir das Wort der zapatistischen Gemeinde

befolgen," erklärt uns Roberto, einer der Ratsmitglieder.

 

"Eine Junta der Guten Regierung ist nicht wie die schlechte Regierung,"

fügt er hinzu, "weil wir bei allen Aspekten unserer Organisation als erstes

unsere Versprechen einhalten."

 

Die Leute hier befolgen den Leitsatz "Alles für alle, Nichts für uns" jeden

Tag, sagt Samuel, ein anderes Ratsmitglied.

 

Dieses Gebiet, etwa 2.400 bis 3.500 Meter über der Meeresoberfläche,

liegt in einem der höchsten und kältesten Teile dieser Region. Von hier

aus meint man, das ganze zapatistische Gebiet erblicken zu können.

 

Seit dem 10. August 2003 ist das vormalige System der zapatistischen

Führung, die auf die fünf "Aguascalientes" basierte, durch das

'Caracoles'-System ersetzt worden (span.= "Spirale" oder

"Schneckenhaus"). Diese befinden sich in den Gemeinden von La

Realidad (bei den Zapatistas auch bekannt als "Mutter der Caracoles

aus dem Meer unserer Träume"), ("Wirbelwind unserer Leidenschaften"),

La Garrucha ("Widerstand für den nächsten Morgen "), Roberto Barrios

("Caracol, das für alle spricht ") und Oventik.

 

Eine Neue Gesellschaft

 

In Oventik tragen alle zapatistischen SoldatInnen die traditionelle

Skimaske, Bandanda und Kampfstiefel. Die zivilen

Unterstützungsgruppen jedoch tragen nichts, um sich als Zapatistas

auszuzeichnen.

 

Auf den ersten Blick wirken alle Menschen hier ernst und steif, aber

ehrlich. Sie sind gut ausgebildet. Wenn sie sprechen, kommen sie

gleich zum Punkt und sagen nichts darüber hinaus. Aber wenn man als

"einer von ihnen" gilt, ändert sich die Situation; dann gibt es mehr

Kommunikation.

 

Viele der Menschen hier verbrachten den größten Teil des heutigen

Tages auf einer Party zur Einweihung der neuen Bezirksbüros für den

Caracol von Oventik. Dutzende Tzotziles, Choles und Tzetzales (die drei

wichtigsten indigenen Gruppen der Gegend) kamen in ihren

traditionellen Trachten und mit Musikinstrumenten, um mit den

Zapatistas zu feiern. Für sie haben kleine Projekte, wie diese neuen

Büros, eine besondere Bedeutung, denn sie symbolisieren die

Integration der sieben Bezirke in dieser Region.

 

Während die Gäste die Einweihung feierten (ohne Alkohol, der in allen

zapatistischen Gemeinden verboten ist), arbeiteten die übrigen

Menschen hier weiter, nur mit kurzen Pausen um die Veranstaltung zu

beobachten.

 

Esequiel sagt, dass Oventik heute anders als sonst ist, weil alle Leute

für die Feier hier seien. Normalerweise sind die Tage hier im

Rebellengebiet sehr angespannt.

 

Alle zapatistischen SoldatInnen haben Aufgaben zu erledigen, und sie

haben keine Zeit, um jede Frage zu beantworten. Aber mit dem einfachen

Blick ihrer verhüllten Gesichter haben die zapatistischen Männer und

Frauen viel mehr zu sagen, zu schreiben und zu errichten.

 

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Übersetzung: Dana

 

 

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