(aus: junge Welt vom 19.04.2004) Interview
- EZLN-Unterstützer angegriffen: Neue
Gewalteskalation in Chiapas? jW sprach mit Heike Kammer, Mitarbeiterin beim »Internationalen Friedensdienst«
(SIPAZ) im mexikanischen Bundesstaat Chiapas F: In den vergangen Wochen häufen sich Nachrichten über
gewaltsame Zusammenstöße aus dem Aufstandsgebiet der neozapatistischen
Bewegung im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas. In mexikanischen Zeitungen wurde
zugleich gemeldet, daß die Aufständischen in Verbindung mit Drogenanbau und -handel
stünden, daß sie am Menschenschmuggel verdienten und die »Zapatistische Armee
zur Nationalen Befreiung« für militärische Attacken aufrüsteten. Können Sie
das bestätigen? In bezug auf eine militärische Aufrüstung haben wir auch
nur Informationen aus der hiesigen Presse. Danach stammt diese Meldung vom militärischen
Geheimdienst. Von der Regierung in Chiapas wird das dementiert. In bezug auf Drogen
und illegalen Menschenhandel wüßte ich keinen Fall, in dem diese Anklagen
gegen die Zapatisten bewiesen sind. Im Gegenteil lehnen die Zapatisten
jeglichen Drogenkonsum und Schmuggel ab. Dagegen erfahren wir immer wieder
von Fällen, in denen staatliche Funktionäre, seien es die von Ausländerbehörden,
Militärs oder Polizisten in solche Skandale verwickelt sind. F: In den vergangenen Tagen gab es gewalttätige Auseinandersetzungen
zwischen Sympathisanten der EZLN und Anhängern der sozialdemokratischen Partei
der Demokratischen Revolution (PRD). Die PRD ist am linken Rand des Parteienspektrums
angesiedelt. Wo liegen also die Konfliktlinien zu den Zapatisten? Unsere Organisation Internationaler Friedensdienst (SIPAZ)
arbeitet in Gebieten, in denen vor der Wahlniederlage der »Partei der Institutionellen
Revolution« (PRI) im Jahr 2000 viele PRD-Mitglieder die Zapatisten unterstützt
haben. Wir konnten dort beobachten, wie es nach den Wahlen zu einer immer
größeren Distanzierung kam. Forciert wurde diese Trennung durch Regierungsprojekte
und ökonomische Hilfen. Unter der ehemaligen Regierungspartei PRI hatten nur
ihre Anhänger Zugang zu diesen Hilfen, während nun auch andere Parteigruppen
darauf zugreifen können. Seit Bildung der »Juntas der guten Regierung« (Selbstverwaltungsorgane
der Zapatisten – jW) im August 2003 müssen sich die Leute in den Gemeinden
daher klar entscheiden, ob sie zur Basis der EZLN gehören wollen, was ein
Leben im Widerstand bedeutet, oder ob sie sich und ihren Familien den Zugang zu
den staatlichen Ressourcen bewahren wollen. In der Folge sympathisieren viele
PRD-Anhänger weiterhin mit der EZLN. Andere tun das nicht oder bekämpfen sie sogar
aktiv. F: SIPAZ hat sich zur Aufgabe gemacht, zwischen den verfeindeten
Gruppierungen im Konfliktgebiet Südmexikos zu vermitteln. Gibt es Fortschritte
auf dem Weg zu einer Aussöhnung? SIPAZ vermittelt nicht direkt zwischen den verfeindeten Gruppierungen.
Auch halten wir eine wirkliche Lösung der Konflikte hier für sehr schwierig, solange
es keinen Dialog der EZLN mit der Bundesregierung gibt. Einen Dialog aber
wird es solange nicht geben, wie die Abkommen von San Andrés über indigene
Selbstverwaltung nicht umgesetzt werden. Unsere Arbeit besteht im wesentlichen
darin, mit den verschiedenen Akteuren das Gespräch zu suchen, um den Weg zu
Respekt und Versöhnung zu schaffen und um den Willen der Menschen für Frieden
zu stärken. In einigen Fällen konnten wir zu einem Dialog gegnerischer Gruppen
beitragen. Es gibt aber auch mexikanische Instanzen, die eine solche
Versöhnungsarbeit leisten. Zum Beispiel war die mexikanische
Nichtregierungsorganisation CORECO an lokalen Verhandlungen in Zinacantán
beteiligt. In einem Bericht gab die CORECO an, »Zeugen eines erfolglosen
Versuches« gewesen zu sein, zu einer für alle Seiten annehmbaren Lösung zu
gelangen. Ganz grundlegende Dinge waren nicht geklärt. So war die Übersetzung
von der indianischen Sprache Tzotzil in Spanisch nur ungenügend gewährleistet.
Regierungsvertreter hätten zudem zum Vorteil derjenigen Wort ergriffen, die
den EZLN-Unterstützern zuvor den Zugang zu Trinkwasser abgeschnitten hatten.
Eine Vermittlerrolle, denke ich, sieht anders aus. Weitere Information: www.sipaz.org Interview: Luz Kerkeling -> Startseite Gruppe
B.A.S.T.A. |