Rundbrief und Eilaktion April 2004
 
Liebe Freundinnen, Freunde, Verwandte
 
In meinem vor wenigen Tagen verschickten Osterrundbrief habe ich einige Erfahrungen vom Aufbau zapatistischer Autonomie und deren Schwierigkeiten berichtet. Gerade zur Zeit als ich diesen Brief geschrieben habe, geschah ganz hier in der Nähe der bisher gewalttätigste Angriff gegen eine gewaltfreie Aktion der Zapatisten.
 
Die Vorgeschichte ist genau wieder eine dieser schwierigen Erfahrungen des Versuchs des Aufbaus von Autonomie, einer Strategie des gewaltfreien Wiederstands, die wir seit dem Erscheinen der Caracoles und Juntas der Guten Regierungen immer mehr beobachten. Eine Form des Wiederstands welche aber auch immer wieder Probleme provoziert.
 
Der Fall Zinacantán ist nicht untypisch. Indigene Traditionen beinhalten gewisse cargos (unbezahlte Dienste an der Gemeinde) sowie cooperaciones (eine Art lokaler Steuern). Wir finden dieses sowohl innerhalb der zapatistischen Autonomie, als auch in anderen indigenen Gemeinden. Es ist eigentlich eine logische Form des Zusammenlebens. Oft wird es aber auch von lokalen Machthabern genutzt, um persönlich zu profitieren. Das nennen wir hier auch Korruption und Kazikentum. Kaziken haben auf lokaler Ebene wirtschaftliche, politische, oft auch religiöse und militärische Macht. Oft kommt es zu Machtkämpfen untereinander, sie benutzen Religion und politische Parteien für persönliche Interessen. Zinacantán scheint ein Beispiel zu sein. Vor einem Jahr gab es Tote im Kampf zwischen den politischen Parteien PRD und PRI.
 
In den meisten Dörfern von Zinacantán leben verschiedene politische Gruppierungen. Wer den Zapatisten angehört, hat seine Regierung im Caracol Oventik. Alle anderen in der Kreisstadt Zinacantán. Die einen geben also ihre Dienste in Oventik, andere in Zinacantán. Auch wieder eine Situation, die nicht untypisch ist. Die Zapatisten werden beschuldigt, ihre Dienste nicht zu leisten. Sie verhandeln und sind bereit, die Dienste zu leisten, welche direkt ihrem Dorf zugute kommen, aber keine Dienste in der Polizei, der Parteien und der Kreisstadt Zinacantán. Zur Strafe verweigert die zur Zeit in Zinacantán regierenden PRD den Zapatisten den Zugang zu Wasser. Zapatisten aus anderen Gebieten des Hochlandes kommen gelegentlich und bringen Wasser.
 
Am Ostersonntag bekam ich dann die Nachricht über Verletzte, Verschwundene und vielleicht auch Tote in Zinacantán. Bald versammelten sich viele Leute und überlegten gemeinsam was zu tun. Ich war Teil einer Delegation die das betroffene Gebiet besuchte. In Jechvo fanden wir zerstörte Häuser und Wasserbehälter. Die Bewohner waren geflüchtet. Eine Frau die in einem Haus versteckt war kam mit uns, mit 5 Kindern und ein paar Habseeligkeiten in Plastiktüten. Wir besuchten weitere Gemeinden und fanden verlassene Häuser. Nur hungrige Hühner und durstige Schafe, keine Menschen. Aus Angst waren sie geflüchtet.
 
Zurück in San Cristobal geht es darum, die Öffentlichkeit zu informieren. Schuldige sind bekannt und müssen bestraft werden, damit es nicht zu mehr Gewalt kommt. Flüchtlinge müssen die Möglichkeiten haben, heimzukehren, sonst werden sie hungern, in die Städte gehen oder illegal über Grenzen, oder ein neues Stück Land suchen, wie es viele taten, die angeklagt werden, den Urwald zu zerstören. Werden die Schuldigen nicht bestraft, besteht die Gefahr, dass das Beispiel Schule macht. Und dass die Zapatisten Selbstjustiz betreiben. Eine Gewaltspirale, wie wir sie in Chiapas schon erlebt haben. Um dieses zu vermeiden, bitte ich Euch, sich an der folgenden Eilaktion zu beteiligen.
 
 
 
San Cristóbal de Las Casas, Chiapas, México
 
15. April 2004
 
Der Internationale Dienst für Frieden (SIPAZ) ist zutiefst besorgt über die gewaltsamen Vorkommnisse, die am vergangenen 10. April im Landkreis Zinacantán im Bundesstaat Chiapas in Mexiko stattgefunden haben.
 
Im Gedenken an den Todestag des mexikanischen Revolutionärs Emiliano Zapatas veranstalteten Zapatistas aus zivilen Unterstützungsbasen des Zapatistischen Befreiungsheers EZLN einen Konvoi von Oventik nach Zinacantán. 4.000 Menschen in knapp 180 Fahrzeugen waren an der Demonstration beteiligt. Sie fuhren nach Jechvó (Gemeinde Zinacantán in der Nähe von San Cristóbal), um den dort lebenden Zapatistas Wasser zu bringen.
 
Seit mehreren Monaten wird den Zapatistas dieses Dorfes durch Anhänger der dort regierenden PRD (Partei der Demokratischen Revolution) aus Zinacantán das Wasser verweigert. Als Vorwand diente den PRD-Anhängern der Vorwurf, dass die Zapatistas ihre Dienste für die Gemeinde nicht leisten würden.
 
Die Zapatistas sind in einem Prozess des Aufbaus ihrer Autonomie und damit im Widerstand gegen Institutionen der Regierung. Das Thema öffentliche Dienstleistungen, so beispielsweise die Wasser- und Stromversorgung, sind ein Spannungsfaktor in Chiapas. Sie rufen Streitigkeiten zwischen den Zapatistas und dem Teil der Bevölkerung hervor, der für diese Dienste bezahlt. Im Falle von Zinacantán gab es seit über einem Monat ein Abkommen zwischen den verschiedenen Gruppen. Die Zapatistas hatten erklärt, sich an einigen Diensten zu beteiligen.
 
Nationale und internationale Beobachter, die den Marsch begleitet hatten, berichteten, dass sie auf der Höhe von Pasté (Nachbarort von Jechvó) von einer Gruppe von PRD-Anhängern aus dem Hinterhalt angegriffen worden seien, als sie gerade auf dem Rückweg waren. Die Angreifer hätten die Zapatistas mit Steinen, Stöcken sowie Feuerwerkskörpern beschossen und auch mit Schusswaffen gefeuert. Es wurden 35 Verletzte sowie fünf Verschwundene gemeldet. 487 Menschen aus Jechvó und umliegenden Gemeinden sind auf der Flucht. Sie haben Angst, Opfer neuer Gewalttaten zu werden. In Jechvó wurden Häuser und Eigentum der Zapatisten von Mitgliedern der PRD zerstört.
 
Wir bitten die internationale Zivilgesellschaft dringend, Briefe, Faxe und E-Mails an mexikanischen Regierungsstellen (Bundesebene, Chiapas, Zinacantán) zu schicken und sie zu bitten:
 
Die Verantwortlichen für diese Gewalttaten zu bestrafen
 
Die notwendigen Bedingungen herzustellen, damit die Flüchtlingsfamilien heimkehren können, ohne einer Gefahr für ihr Leben ausgesetzt zu sein.
 
Das Recht auf den Erhalt von Grundbedürfnissen wie Wasser zu garantieren, unabhängig davon, welcher Organisation jemand angehört
 
 Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und Bewegungsfreiheit zu garantieren.
 
 
Presidencia de la República
Lic. Vicente Fox Quezada
Secretario Particular del C. Presidente:
Alfonso Durazo Montaño
Residencia Oficial de Los Pinos, Puerta 5, Casa Miguel Alemán, PB, Col. San Miguel Chapultepec
11850, México, DF
Tel(s). (++ 52) 5276.8000 exts. 1016, 1017
Fax (++ 52) 5276.8011
adurazo@presidencia.gob.mx
 
 
Gobernador del Estado de Chiapas
Pablo Salazar Mendiguchía
Palacio de Gobierno, 1er. Piso
29009 Tuxtla Gutiérrez, Chiapas, México.
Fax. (++ 52) 961 612 8298
 
 
Presidente de la Comisión Nacional de Derechos Humanos.
Dr. José Luis Soberanes Fernández 
Periférico Sur 3469 Del. Magdalena Contreras. C.P.
10200 México. D.F.
Tel: (++ 52) 55 56 81 81 25
correo@cndh.org.mx o
 
 
Deutsche Übersetzung des Musterbriefes
 
Herr Präsident,
 
wir haben von den gewaltsamen Vorkommnissen erfahren, die am 10. April 2004 im Landkreis Zinacantán im Bundesstaat Chiapas stattgefunden haben. Zapatistische Unterstützungsbasen wurden von Mitgliedern der PRD gewaltsam angegriffen, während sie eine friedliche Demonstration in Solidarität mit anderen Zapatisten abhielten, denen seit Monaten der Zugang zu Wasser verweigert wird.
 
Wir sind zutiefst besorgt um die Verletzten, Verschwundenen und Geflüchteten und über das Klima der Spannung und Angst, das in der Region durch diese gewalttätige Aktion entstanden ist.
 
Wir bitten Sie alles zu tun, was in ihren Möglichkeiten steht, um:
 
die Schuldigen dieser Gewalttaten zu bestrafen
 
die notwendigen Bedingungen zu schaffen, damit die Flüchtlingsfamilien heimkehren können, ohne einer Gefahr für ihr Leben ausgesetzt zu sein.
 
Die Geflüchteten müssen für ihre materiellen Schäden entschädigt und psychologisch betreut werden.
 
das Recht auf den Erhalt von Grundbedürfnissen wie Wasser zu garantieren, unabhängig davon, welcher Organisation jemand angehört
 
 das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und Bewegungsfreiheit zu garantieren
 
 Mit freundlichen Grüssen
 
Name
 
Datum
 
Ort
 
Musterbrief
 
 
 
Sr. Presidente
 
Hemos conocido los hechos violentos acontecidos en el municipio de Zinacantán, el 10 de abril de 2004, donde bases de apoyo zapatistas fueron golpeadas por personas pertenecientes al PRD, mientras realizaban una manifestación pacífica y de solidaridad con los zapatistas privados de agua desde hacía meses.
 
Estamos sumamente preocupados por los heridos, desaparecidos, y desplazados que estas acciones violentas han generado, así como por el clima de incertidumbre y miedo existente en la región.
 
Les pedimos realicen todas las acciones que estén a su alcance para:
 
Juzgar a los responsables de estos hechos violentos
 
Establecer las condiciones necesarias para el retorno de las familias desplazadas sin riesgos para sus vidas y reparando los daños causados en sus propiedades
 
Garantizar el derecho a servicios básicos como el agua por encima de la pertenencia a una u otra organización así como los derechos fundamentales a la libre manifestación y libre transito.
 
Atentamente,
 
Name
 
Datum
 
Ort
 
 
 
 Für weitere Information auf spanisch:
 
www.defensorescomunitarios.orgwww.laneta.apc.org/sclc www.laneta.apc.org/cdhbcasas/index.htm
 
www.sipaz.org 

 

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