Der Körper als Schlachtfeld

Frauen-, Bauern- und Nichtregierungsorganisationen fordern die Entmilitarisierung von Chiapas

"Wir gehen noch immer davon aus, dass hier in Chiapas ueber 60.000 Soldaten der mexikanischen Bundesarmee stationiert sind, die zum Teil offen mit Paramilitärs zusammenarbeiten", so die alarmierende Einschätzung von Lorenzo Perez von der pazifistischen Organisation Las Abejas ("Die Bienen") aus Chenalhó im Hochland von Chiapas im jW-Gespräch.

Vom 18. bis 23. November veranstalteten daher 14 regierungsunabhängige und soziale Organisationen die "Tage über die Auswirkungen der Militarisierung" in San Cristóbal im Süden Mexikos, die mit der einhelligen Forderung endeten, die Militarisierung von Chiapas und Lateinamerika rückgängig zu machen und die Straflosigkeit gegenüber den Militärs zu beenden.

Die jeden Abend mit 50 bis über 100 Personen gut besuchten Informationsveranstaltungen begannen mit der Präsentation des Videos "Zapatistas - Chronik einer Rebellion", das von der linken Tageszeitung La Jornada und dem Kollektiv "canal 6 de julio" erarbeitet und mit viel Applaus honoriert wurde. Das "Netzwerk der Gemeindeverteidiger" berichtete darauf über seine Bemühungen, in den indigenen Dörfern Anwälte auszubilden, damit diese die juristische Vertretung der Gemeinden eigenständig übernehmen können.

Am nächsten Tag schilderten Überlebende des Massakers von Acteal, bei dem am 22.12.1997 45 Menschen von Paramilitärs getötet wurden, die schweren Folgen und Traumatisierungen dieser Verbrechen, wobei das Menschenrechtszentrum Fray Bartolome de las Casas ergänzend feststellte, dass die intellektuellen Urheber des Massakers, die in Regierungsetagen sitzen, bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen worden sind.

Gustavo Castro vom politisch-ökonomischen Forschungszentrum CIEPAC analysierte die Auswirkungen der Militarisierung im lateinamerikanischen Kontext und wies auf die Bemühungen der USA hin, die ihre Militärpräsenz in Lateinamerika massiv erhöhen wollen, um im Rahmen des umstrittenen ALCA-Freihandelsabkommens ihren Einfluss in der Region zu konsolidieren. Auch die Rolle der berüchtigten "school of the americas" (SOA) in Fort Benning, USA, wurde kritisiert. Die SOA hatte in den vergangen Jahrzehnten tausende lateinamerikanischer Militärs ausgebildet, die später in verschiedenen Staaten in brutale Aufstandsbekämpfung, Massaker, Folter und Verschwindenlassen von Oppositionellen verwickelt waren.

Die letzten beiden Tage der Veranstaltungsreihe beschäftigten sich mit den Auswirkungen der Militarisierung auf die dort lebenden Frauen. Fünf indigene Frauen aus den chiapanekischen Landkreisen Las Margaritas und Ocosingo, die aus Sicherheitsgründen nicht namentlich genannt werden wollen, berichteten über zahlreiche Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen, die von den mexikanischen "Sicherheitskräften" ausgeführt werden. So ist durch Militärpräsenz die Prostitution radikal angestiegen. Bisher wurden viele Prostituierte herangekarrt, doch seit einigen Jahren gibt es Frauen, die ihre Männer und Kinder zurücklassen, um Geld zu verdienen, was in den Dörfern enorme Probleme schafft. Es kommt auch vor, dass die Frauen nicht zurückkommen, niemand weiß, was mit ihnen geschieht. Die Aktivistinnen beklagten auch die vielfache Vergewaltigung von Frauen und Mädchen durch Soldaten.

Eine Hebamme aus Ocosingo berichtete, dass ein Indígena-Mann im Beisein der Familie von Militärs erschossen wurde, die später behaupteten, er habe "provoziert". Bis heute leidet die Familie unter psychischen Störungen und schweren Traumata.

Dass dieses Beispiel kein Einzelfall ist, belegte die Anwältin Marta Figueroa in ihrer Analyse: "Es gibt systematische geschlechtliche Gewalt im Kontext jeder Militarisierung. Die Soldaten erniedrigen die Frauen durch die Vergewaltigung und die daraus entstehenden Kinder in massivster Weise. Der Körper der Frau wird zum Schlachtfeld. Die Militärs betreiben auch Frauenhandel und Sexsklaverei, z.B. nach Japan. Die sexuellen Aggressionen sind fester Bestandteil der militärischen Auseinandersetzungen, sie kommen nicht nur von Militärs, auch von UNO-Truppen und z.T. sogar von Mitarbeitern der sogenannten Friedenskräfte, wie z.B. dem Roten Kreuz, in Flüchtlingslagern, die das Elend der Frauen ausnutzen. Die Straflosigkeit ist fürchterlich. In der Aufarbeitung der bewaffneten Konflikte fehlt bis heute völlig die Anerkennung der Verbrechen gegen Frauen. Wir wollen diese Gewalt sichtbar machen".

Am Sonntag, den 23. November endete die Woche gegen Militarisierung mit einer kraftvollen Demonstration auf dem Hauptplatz von San Cristobal im Rahmen des "Internationalen Tages gegen Gewalt gegen Frauen", der weltweit am 25. November begangen wird. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer forderten die Respektierung der Frauenrechte, ein Ende der Straflosigkeit, die Entmilitarisierung der besetzten Gebiete und eine verstärkte Organisierung der Gesellschaft, vor allem der Frauen, um gegen den "Terror des Krieges" aber auch gegen die ausbeuterische neoliberale Wirtschaftspolitik der mexikanischen Regierung zu kaempfen.
Zum Abschluss sangen die Anwesenden die Hymne der zapatistischen Befreiungsbewegung EZLN, die in diesen Tagen ihr zwanzigjähriges Bestehen und den zehnten Jahrestags ihres Aufstands feiert.

Luz Kerkeling, Chiapas, 25. November 2003



-> Startseite Gruppe B.A.S.T.A.